Im Palazzo sueßer Geheimnisse
geschickt herumgekriegt, stellte sie leicht frustriert fest. Er kommt einfach mit seiner bewährten „Ich-kam-sah-und-siegte-Methode“ an, und du – anstatt sich ihm mit aller Kraft zu widersetzen – machst dir nur Stress damit, dich zu keiner Liebeserklärung hinreißen zu lassen .
Obwohl: Sie bedauerte diese Nacht auch nicht. Ungeachtet seiner Gefühle und Motive, waren ihre Gefühle so intensiv, dass beide Nächte in seinen Armen – könnte sie ausklammern, dass Michele sie nur benutzt hatte – wie Edelsteine in der Asche der Jahre glühten.
Wenn diese seltsame Sache sich zwangsläufig von selbst erledigt hatte, würde sie mit ihrem venezianischen Abenteuer abschließen und an ihr altes Leben anknüpfen. Sie hatte die Kraft, um weiterzumachen und das Vergangene zu meistern. Obwohl sie sich immer erinnern würde …
Nie mehr könnte sie sich eine Arbeit Peter Sebastians ansehen – oder an Venedig denken –, ohne diese Zeit wieder zu erleben. Doch eines Tages würde die Erinnerung bestimmt nicht mehr wehtun. Und vielleicht war alles, was sie hoffen konnte, dass sie nicht mehr darunter litt, dem nachtrauerte, was hätte sein können …
Lucy trat aus der Dusche und fühlte sich wie neugeboren. Michele schien darauf vorbereitet gewesen zu sein, einen Gast aufzunehmen, der keine Toilettenartikel bei sich hatte, denn im Bad lagen eine originalverpackte Haar- und eine Zahnbürste neben einer angebrochenen Tube Minzzahnpasta. Sowie Lucy sich die Zähne geputzt und die Haare gebürstet hatte, ging sie wieder ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Bei der Vorstellung, schon einmal benutzte Unterwäsche tragen zu müssen, verzog sie zwar das Gesicht, aber da es nicht anders ging …
Mehr schlecht als recht schaffte sie es mit der Krücke die Treppe hinunter und traf Michele in der Diele. „Ich habe mir überlegt, dass wir nichts davon haben, wenn wir hierbleiben, und mir erlaubt, ein Wassertaxi zu bestellen. Es wartet schon.“
Zurück im Palazzo, trug er Lucy gleich auf ihr Zimmer, half ihr in einen Sessel am Fenster und sagte zerstreut: „Ich muss mich da um etwas kümmern. Vielleicht versuchst du noch ein wenig zu schlafen. Es gibt gleich Mittagessen.“
Ehe Lucy ihre Sprache wiederfand, ging die Tür zu. Vom vielen Nachdenken war sie schon wieder müde, und etwas mehr Schlaf konnte sicher nicht schaden. Letzte Nacht hatten sie beide wenig davon bekommen. Michele hatte es so unbändig genossen, ihren Körper zu verwöhnen. Aber dieses Begehren war vom sinnlichen Gefühl der Lust und nicht dem der Liebe geschürt worden.
Ich will, dass du mich liebst und mit derselben Leidenschaft begehrst wie Lucia meinen Namensvetter, hatte Michele ihr gesagt. Aber aus einem völlig anderem Grund. Nicht, weil diese Liebe und dieses sinnliche Begehren auf Gegenseitigkeit beruhten, sondern weil er eine möglichst große Macht über sie haben wollte …
Obwohl die Sonne warm durch das Fenster schien, fröstelte Lucy, wurde aber zum Glück abgelenkt, als es an der Tür klopfte und Rosa das Mittagessen brachte. Lucy aß das Panino mit Hähnchenbrust, Käse und Rucola so gedankenverloren – obwohl es köstlich war –, dass sie im Sessel einschlief, während sie an den Löwen von Venedig und seine Lucia dachte.
Es war schon fast Abend, als Lucy die Augen aufschlug, sich reckte und streckte, ihr gleich der Löwe von Venedig wieder einfiel und sie sich vor Augen führte, was sie alles von ihm wusste. Am Ende verspürte sie den Drang, sich sein Porträt noch einmal anzusehen. Kurzentschlossen duschte sie schnell, zog sich frische Unterwäsche und Kleidung an und machte sich auf den Weg zur Galerie.
Wieder schwebte ihr der vage Gedanke vor, den sie zuvor wie einen Geist nicht hatte greifen können. Da war etwas … eine Art schemenhafter Eindruck, der sich verstörend in ihr Denken schlich …
Aufmerksam betrachtete Lucy das Bild des Mannes, der Michele so ähnelte, und grübelte, was sie so durcheinanderbrachte.
Ihr Blick fiel auf den schwarzen Umhang – und da wusste sie es. Wie in Trance starrte sie auf die goldene Schließe. Die blaue Emailleverzierung zeigte zwei Bildmotive. Links sah man zwei auf den Hinterbeinen stehende goldene Löwen, rechts ein anmutiges weißes Einhorn mit einem goldenen Pfeil an der Stelle des Horns. Verbunden wurden die Bildhälften durch eine Goldkrone.
Wie lange sie hier wie gelähmt stand, merkte sie gar nicht. Es wurde ihr erst wieder bewusst, als ihr Knöchel schmerzte, weil sie ihn
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