Im Palazzo sueßer Geheimnisse
abgelenkt von ihrer Entdeckung voll belastet hatte.
Sie wandte sich ab, humpelte so schnell sie konnte zurück in ihr Zimmer und holte ihre Schmuckschatulle hervor. Es bestand nicht der geringste Zweifel, dass der Clip ihrer Mutter haargenau der rechten Bildhälfte der Agraffe des Dogen entsprach.
War das nur Zufall? Im Leben gab es so seltsame Zufälle wie in Büchern, aber …
Es klopfte, und Michele kam geschmeidig wie ein Panther herein.
Eilig legte Lucy den Clip zurück ins Kästchen und machte es zu. Sie wollte nicht, dass Michele ihn sah, bevor sie in Ruhe nachgedacht hatte.
„Hast du geschlafen?“, fragte er mit der kühlen Höflichkeit eines Gastgebers.
„Stundenlang.“
„Dann kannst du mit nach unten kommen?“
Lucy zögerte. Es war feige – zugegeben –, aber die Aussicht, Didi Lombard wiederzusehen, entzückte sie nicht gerade. In ihrem Kopf hallte immer noch, wie die Amerikanerin anzüglich sagte: „Sie steht bestimmt auf dich.“
Lucy schüttelte den Kopf. „Ich würde wirklich lieber hierbleiben.“
„Ich nehme an, Didi ist der Grund deiner Unlust?“ Michele grinste. „Dabei dachte ich, du hättest Kampfgeist.“
„Ach, Kampfgeist habe ich genug – aber wenig Selbstbeherrschung.“
„Wer hätte das gedacht.“ Michele lächelte so amüsiert, dass Lucy Farbe bekam, und ergänzte: „Übrigens habe ich Didi nahegelegt, ihre Zelte hier abzubrechen.“
Lucy staunte ihn an. „Du meinst, sie reist ab?“
„Ich meine, sie ist abgereist. Ich habe sie vor ein paar Stunden zum Flughafen gebracht – gleich als ich erfuhr, dass es noch einen freien Platz in der Maschine nach London gab. Von dort wird Didi morgen nach New York zurückfliegen.“
„Aber warum? Ich meine, du hast sie doch nicht wegen mir weggeschickt?“
„Indirekt schon.“
Weil sich in ihrem Kopf alles drehte, ließ sich Lucy ohne weiteren Protest von Michele nach unten tragen. Im Wohnzimmer angekommen, half er ihr in einen Sessel neben dem Kamin und setzte sich ihr gegenüber.
Lucy glaubte schon, es vor Neugierde nicht mehr aushalten zu können, als Michele zu erklären begann: „Die Situation war schon angespannt genug, man musste sie nicht noch unnötig komplizieren.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Außerdem hat Didi sich ständig eingemischt. Sagtest du nicht, dass dein Gepäck durchsucht wurde und jemand nachts in deiner Tasche gewühlt hat?“
„Ja …“
„Als ich Didi damit konfrontierte, gab sie zu, eines der Zimmermädchen bestochen zu haben. Das war allerdings, bevor sie wusste, dass ich dich hierher in den Palazzo bringen wollte.“
„Als ich mit Tante Maureen telefonierte“, erinnerte sich Lucy, „hatte ich das Gefühl, dass jemand mithörte. War das auch
Didi?“
„Vermutlich.“
„Aber warum?“
„Vielleicht hoffte sie, etwas herauszubekommen. Schließlich lag ihr genauso viel daran wie mir, den Ring wiederzubekommen. Es ist nämlich so, dass ihn – der Tradition der Diomedes folgend – der älteste Sohn der Familie seiner zukünftigen Braut gibt. Und Didi denkt, dass sie das ist.“
Lucy atmete, als hätte sie Glassplitter in der Lunge. „Dann liebst du sie?“
Michele antwortete erst nach einer langen Pause. „Letztes Jahr fand ich, es wäre höchste Zeit, mir eine Frau zu suchen und eine Familie zu gründen. Aber nach einer sehr unglücklichen Liebe in meiner Jugend – bei der ich sehr gelitten hatte – wollte ich so einen Kummer nicht noch einmal erleben und beschloss, diesmal meinen Kopf entscheiden zu lassen – und nicht mein Herz … Didi ist schön und intelligent. Wir teilen ähnliche Interessen. Ich schätze ihren geschäftlichen Spürsinn. Und wir passen auch sonst irgendwie zusammen.“
Der Hoffnungsschimmer, der in Lucy aufgeflackert war, erlosch mit Micheles letzten Worten. Er liebte Didi wohl nicht, aber er wollte sie heiraten, sobald er den Ring wiederhatte, und er hatte sie nur überredet, nach New York zurückzukehren, um die Situation zu entspannen und einen Konflikt zu vermeiden …
Ihre Gedanken drehten sich. Taten es noch, als Michele weitersprach: „Seit zwei Nächten weiß ich, dass es nicht ausreicht, ‚irgendwie‘ zusammenzupassen.“ Er schlenderte auf Lucy zu, bückte sich und hauchte ihr einen Kuss auf den Mund. „Übrigens, da ist ein Brief für dich. Ich habe ihn in meiner Post gefunden.“
Die Adresse auf dem blauen Umschlag war in der für ihre Tante typischen Handschrift geschrieben. Lucy riss ihn gleich auf und las: „Als
Weitere Kostenlose Bücher