Im Palazzo sueßer Geheimnisse
alles reibungslos läuft, muss ich vorsichtig sein.“
Lucy biss sich auf die Zunge und sagte nichts. Sie würde ihm in die Hände spielen, wenn sie auf sein Sticheln reagierte …
Wenig später betraten sie das alte Haus, und Lucy empfand es, als käme sie heim. Wie ein Hauch Lavendel schwebte Zufriedenheit in der Luft, und die Wände schienen all die glücklichen Erinnerungen wiederzugeben, die sie über die Jahre gespeichert hatten.
Michele gehörte hierher, wie er nach Venedig gehörte. Hier hatte er Wurzeln, zu denen er zurückkehren konnte, die ihm Halt gaben und Sicherheit.
Lucy beneidete ihn darum.
Sowie sie auf dem Diwan saß, machte sich Michele daran, das Feuer im Kamin zu entzünden. Lucy konnte seinen knackigen Hintern sehen, über dem sich beim Bücken der Stoff der Hose spannte – und war wie gefesselt.
Sie spürte eine Wärme in sich aufsteigen, die absolut nichts mit dem Feuer zu tun hatte, und schaute schnell weg.
Als die Flammen fröhlich loderten, richtete Michele sich auf. „Kaffee?“, fragte er und verschwand schon in Richtung Küche, während Lucy noch nickte.
Das gab ihr Zeit, um darüber nachzudenken, aus welchem Grund er sie hergebracht hatte. Und warum sie so widerspruchslos mit ihm gegangen war.
Seine Annahme, dass sie mit ihm schlafen würde, erzürnte sie. Aber sie konnte sein Begehren nur abwehren, wenn sie ihr verräterisches eigenes unterdrückte. Sie ermahnte sich zu äußerster Wachsamkeit und bereitete sich auf die Belagerung vor.
Kurz darauf kam Michele mit einem Tablett und zwei Latte Macchiato wieder, setzte sich ihr gegenüber, wirkte jedoch eher wie ein disziplinierter Rechtsanwalt als wie ein sinnlicher Liebhaber. „Erzähl mir mehr über deine Mutter, Lucy“, sagte er ruhig.
Der Vorschlag war gar nicht so dumm! Entweder war er bis hierhin ihren Gedankengängen gefolgt, oder er gab einen Schuss ins Blaue ab.
Lucy versuchte nicht atemlos zu klingen und fragte: „Was willst du wissen?“
„Du sprachst davon, sie wäre halb Italienerin, halb Engländerin gewesen. Was weißt du über ihre Eltern?“
„Ihre Mutter wuchs in der Nähe von Mestre auf. Ihr Vater war ein britischer Soldat. Nach Kriegsende blieb er in Italien, und die beiden heirateten. Aber zwölf Jahre später trennten sie sich, und er ging zurück nach England.“
„Erzähl ruhig weiter.“
„Als meine Mutter sechzehn war, starb ihre Mutter. Allein auf sich gestellt, suchte sie sich Arbeit und fand – da sie auch englisch sprach – eine Stelle als Kindermädchen bei einem britischen Paar in Venedig. Gerald Wingfield war ein recht bekannter Maler, seine Frau schrieb Romane. Zwei Jahre später kehrten sie nach England zurück, und meine Mutter ging mit ihnen. In London lernte sie meinen Vater kennen, John Weston, den Besitzer der Ventura Kunstgalerie, in der die Arbeiten von Gerald Wingfield ausgestellt wurden. Sechs Wochen später waren sie verheiratet, und zehn Monate später wurde ich geboren.“
„Fuhr sie öfter wieder nach Italien?“
Lucy schüttelte den Kopf. „Solange Dad lebte, gar nicht. Ich glaube, er wollte es nicht.“
„Und als dein Vater starb?“
„Nach Dads Tod wollte sie mit mir zusammen nach Italien, aber irgendwie kam es nie dazu. Es gab immer so viel zu tun in der Galerie.“
Michele war gespannt. „Aber sie kam doch?“
„Ja.“ Ein befreundetes Ehepaar plante, seine Tochter mit einer Reise nach Venedig zu überraschen. Aber die wollte ihren Freund nicht allein lassen und sagte ab. So boten sie Mamma die Buchung an.“ Lucy schluckte. „Am Flughafen von Gatwick habe ich mich von ihr verabschiedet.“
„Also war deine Mutter letztes Jahr allein in Venedig?“
Es war eher eine Feststellung als eine Frage, aber Lucy hauchte ein Ja.
„Und ihr beide seid … wart … euch ähnlich?“
„Sehr.“
Sein Blick war eisig. „Dann wusstest du die ganze Zeit, dass deine Mutter …“
„Nein! Natürlich nicht. Erst nach dem Gespräch mit Maria. Zuerst konnte ich es nicht glauben, aber es war die einzig stimmige Erklärung.“
„Hat sie dir denn nichts erzählt von …“
„Kein Wort. Sie war auf dem Weg zum Flughafen auf der Autobahn tödlich verunglückt. Ich …“ Lucy stockte, weil sie weinen musste.
Michele setzte sich neben sie, nahm sie in die Arme und wiegte sie wie ein Kind.
Nach einer Weile schniefte sie, und Michele gab ihr ein Taschentuch.
„Es tut mir leid“, murmelte Lucy, nachdem sie sich die Nase geputzt hatte. „Es scheint nur alles
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