Im Paradies deiner Kuesse
strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und richtete den Blick auf den einzigen Fixpunkt in ihrer aktuellen Situation: Finn McLeod. Auch er betrachtete sie, doch seine Augen funkelten amüsiert.
„Du hattest recht“, sagte sie so selbstbewusst, wie es sich für eine Primaballerina gehörte. „Es gibt wirklich nichts Befreienderes!“ Und dann lachte sie. Nicht etwa leise, sondern aus voller Kehle.
Und Finn lachte mit ihr. Genauso laut, genauso haltlos. „Noch einmal?“, fragte er schließlich.
Sie nickte.
Dann nahm er ihre Hand, und sie stellten sich beide auf die Zehenspitzen, warfen den Kopf in den Nacken und schrien alles heraus.
Finn fühlte sich, als könnte er fliegen. Nicht einmal die Schwerkraft konnte ihn mehr hinunterziehen. Mit Allie an seiner Seite fühlte er sich unbesiegbar.
Wo war die hilflose, verschüchterte Ballerina geblieben, die er kaum dazu bewegen konnte, aus dem Helikopter zu springen? Ihre Wangen waren rosig, und ihre Augen funkelten. Auf einmal wurde ihm bewusst, weshalb manche Menschen Hunderte von Britischen Pfund zahlten, um sie tanzen zu sehen.
Auch er hatte sich damals in der Oper von der Schönheit ihrer Bewegungen verzaubern lassen. Aber das hier war noch um Klassen besser. Denn dieses Mal sah er nicht nur zu, er nahm aktiv an ihrem Sprung in eine ihr unbekannte Welt teil.
Als sein Herzschlag sich langsam wieder normalisierte, wurde ihm plötzlich klar, wie sehr er sich zu dieser zarten Frau hingezogen fühlte, die nun mit geschlossenen Augen in der Sonne stand und die Wärme genoss. Wie gern er sie … küssen würde.
7. KAPITEL
Ungläubig blickte Finn sie an. Dann runzelte er die Stirn. Bei diesem Anblick krampfte Allegras Magen sich zusammen. War sie zu weit gegangen?
Wahrscheinlich. Wenn man nach seinem Gesichtsausdruck schließen konnte.
Zu Hause in London hätte wohl niemand, der die zurückhaltende, stille, unnahbare Allegra Martin kannte, je vermutet, dass sie auch nur ihre Stimme heben, geschweige denn aus voller Kehle schreien und schallend darüber lachen konnte.
Vielleicht wurde sie ja langsam verrückt?
Ja, anders konnte sie sich selbst nicht erklären, weshalb sie Hals über Kopf davongelaufen war, um eine Woche lang auf einer einsamen Insel ein Überlebenstraining zu absolvieren. Und das auch noch fürs Fernsehen!
Aber wie konnte etwas verrückt oder verkehrt sein, das so viel Spaß machte? Noch nie zuvor hatte sie sich so frei gefühlt. Und wenn sie früher vernünftig gewesen war, dann zum Kuckuck mit der Vernunft! So wollte sie nicht mehr leben.
Forschend betrachtete sie Finn. Statt wie üblich selbstbewusst zu lächeln, hatte er die Lippen nur leicht geöffnet und war zudem etwas blass. Vielleicht fand er ihr Verhalten unangebracht? Nicht mehr lustig, sondern hysterisch? War er deshalb auf einmal so still?
„Ist alles okay, Finn?“
Kein Lächeln, keine schlagfertige Antwort. Nur ein Nicken. Dann wandte er sich an die anderen vier Männer des Teams: „Zeit, zum Lager zurückzukehren und das Abendessen zu besorgen.“
Ohne ihre Reaktion abzuwarten, begann er mit dem Abstieg. Und zwar so schnell, dass Allegra und die Männer Probleme hatten, ihm zu folgen.
Auch den ganzen Rückweg über verhielt er sich höchst sonderbar. Nicht eine einzige essbare Pflanze, kein Heilkraut, kein Insekt hielt er in die Kamera. Er marschierte einfach nur schweigend durch den Dschungel, bis weicher Sand unter seinen Füßen knirschte. Dann streifte er die Stiefel ab und ging ins Meer. Mit all seinen Sachen.
Verwundert stützte Allegra die Hände in die Hüften und beobachtete, wie er zu der kleinen felsigen Insel hinüberschwamm. Dort zog er sich aus dem Wasser, setzte sich unter die Palme und blickte starr auf den Ozean hinaus.
Niemand folgte ihm. Nicht einmal Dave. Tatsächlich schien das Team genauso ratlos zu sein wie sie. Vielleicht war sie ja nicht die Einzige, die plötzlich ein wenig verrückt wurde?
Eine halbe Stunde lang blieb Finn auf der Insel. Bis er sich wieder halbwegs gefangen hatte. Hätten an Land nicht ein Filmteam und eine Ballerina auf ihn gewartet, wäre er wohl die ganze Nacht dort geblieben.
Wo, zum Teufel, war das hergekommen?
Im einen Augenblick erfreute er sich an den Fortschritten seiner Survivalschülerin, und im nächsten … wollte er sie küssen?
Allerdings stand eben nicht nur eine ehrgeizige Schülerin vor ihm, sondern eine faszinierende junge Frau. Eine, die noch dazu so viel mehr Potenzial hatte, als sie selbst ahnte.
Weitere Kostenlose Bücher