Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
Vom Netzwerk:
Aber es war ein unerträglich einsamer Tag gewesen, windig und sonnig, die Bäume schließlich alle in voller Blüte. Die Osterglocken bogen sich im Wind. David hatte nach dem Rasieren nie das Waschbecken saubergemacht. Das von Stoppeln übersäte Porzellan fehlte ihr, obwohl es jedesmal wieder ein kleiner Schock gewesen war, es so vorzufinden. Sie hatte nie damit gerechnet, doch jetzt fehlte es ihr schmerzlich, als stieße ihr jemand eine Nadel ins Herz. Wie weiß und kalt so ein Waschbecken aussehen kann, wenn man ohne Mann lebt. Wie steril. Was ihr fehlt, ist der Geruch von Sex, das ist es, was ihr fehlt, ein vager Geruch nach verstreichender Zeit und Seetang und gemähtem Gras.
    Der Alkohol haute unmittelbar rein, vielleicht weil sie gerade eine Diät machte. Sie hatte beschlossen, dass sie an Davids Tod nicht zerbrechen würde. Ihr Rezept: So tun, als wäre nichts, und zwar immer und überall.
    Es hatte viel Hüttenkäse und Eisbergsalat gegeben.
    Im Yogakurs lag sie auf ihrer Matte, gestattete sich, den Geruch der Socken als eine Art Trost zu empfinden, und ließ zu, dass ihr die Tränen aus den Augenwinkeln in die Ohren rannen. Sie war achtundfünfzig, hielt ihr Haus picobello sauber und deckte den Tisch immer, wie es sich gehörte, auch wenn sie alleine aß.
    Ein Dienstabzeichen oder dekorativer Metallbesatz an der Mütze des Polizisten blitzte im Licht. Sie standen neben den Tulpen. Der Mann blickte auf, und Beverly sah, dass er noch jung war, in seiner Spiegelbrille konnte sie ihren Bungalow sehen. Sie hatte den Bungalow zwei Wochen nach Davids Beerdigung gekauft. Das gemeinsame Haus hatte sie aus Feigheit verkauft. Sie hatte das Haus verkauft, weil sie unendlich tapfer war. Sie fuhr fast jeden Abend daran vorbei, um durch die Vorhänge hineinzuspähen. Einmal hatte sie die Silhouette einer Frau mit Ofenhandschuhen gesehen, die mit erhobenen Armen einen riesigen Topf trug, und mehrere Leute saßen bei Kerzenlicht um einen Tisch. Es war ungemein tröstlich gewesen. Wer immer sie sein mochten, sie waren jung und feierten. Bis zum Morgengrauen, hoffte sie.
    Der Beamte fasste an die Knopfleiste seines Hemdes, bevor er auf das Haus zuging.
    Beverly schrieb ihrer Schwester Madeleine ab und zu E-Mails, obwohl sie ein, zwei Mal am Tag telefonierten. Madeleine trug beim Autofahren ein Headset.
    Ich erledige meine Gefühlsarbeit gern, während ich unterwegs bin, sagte Madeleine. Beverly hörte die Reifen quietschen, als raste Madeleine mit Karacho in die Kurven.
    Wieso Arbeit?, hatte Beverly gefragt. Madeleine, um sechs Jahre älter, war, was Beverlys Wohlergehen betraf, immer wachsam und unnachgiebig gewesen. Oft war im Hintergrund Gehupe zu hören: Madeleine fuhr über rote Ampeln, machte Kehrtwenden, brachte mit ihrer Geistesabwesenheit andere Autofahrer zur Weißglut.
    Doch ihre Mails waren knapp und unerbittlich. Egal welche neue Angst aufkam, Madeleines per Mail erteilter Rat blieb derselbe, drei Worte nur: Weiter im Programm.
    Beverly schrieb oft: Ich drehe durch. Nur das.
    Die Polizisten kamen über den Betonweg zum Haus. Die Klingel summte zweimal. Beverly hatte begonnen, an das Unvermeidliche zu glauben. Davids Aneurysma war unvermeidlich gewesen. Weitere Katastrophen waren unvermeidlich. In diesem Moment hätte sie ihrer Schwester gern geschrieben: Ich habe mich ergeben. Sag ihnen, dass sie nicht schießen sollen.
    Seit vier Jahren hatte sie einen körperlichen Schmerz, der im Solarplexus begann und von dort in den ganzen Körper ausstrahlte, als wäre auf sie geschossen worden.
    Die Leute denken, Trauer sei flüchtig und romantisch, schrieb sie Madeleine. Und ein andermal: Die Leute denken bestimmt, ich bin kalt und herzlos, weil ich einfach mein Leben weiterlebe.
    Sie wusste nicht, was die Leute dachten. Sie hatte selbst nie über Trauer nachgedacht, bis sie von ihr übermannt wurde.
    Sinnliche Wahrnehmungen verpufften ins Leere, seit David tot war. Mehr als einmal hatte sie neben ihrem Gartenstuhl Orangenschalen gefunden und festgestellt, dass sie die Orange bereits gegessen hatte.
    Sie merkte, dass sie sich im Gespräch mit anderen wiederholte. Zwei oder dreimal das Gleiche sagte.
    Die Leute reagierten zögernd.
    Sie versuchten so zu tun, als hörten sie zum ersten Mal, was Beverly da sagte, aber es drückte auf ihre Stimmung. Sie schauten auf so eine bestimmte Weise. Leicht beklommen, sodass Beverly sich fühlte, als lugte ihre Unterhose hervor.
    Beverly hatte eine der Sekretärinnen bei der Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher