Im Rachen des Alligators
Besitzer des Hotdog-Standes wie jemanden zu behandeln, der ihr sehr viel bedeutete. Sie würde sein Herz erwärmen, so wie sie das Herz aller erwärmte, die ihren Weg kreuzten, und vielleicht reichte das ja schon. Vielleicht würde die natürliche Herzenswärme seiner Mutter den Sieg davontragen.
Die Küche war sauber, auf dem Abtropfgestell trocknete Geschirr, eine Kuckucksuhr schickte neunmal das Vögelchen hinaus, und sie mussten warten, bis es vorbei war, ehe Frank entspannt über den Hotdog-Stand reden konnte. Eine leichtfertige Vorfreude erfüllte ihn.
Tatsächlich war die Sache die, dass er den Hotdog-Stand unbedingt haben wollte, aber nur tausend Dollar hatte, doch der Mann forderte tausendreihundert, und Frank befürchtete, es könnte seinen Willen brechen, wenn er ohne den Hotdog-Stand nach Hause fahren müsste.
Colleen
Sie war am Freitag sechs Stunden per Anhalter unterwegs gewesen und hatte dann ihren Fußmarsch zur Baumgrenze begonnen. Sie lief drei Stunden, und nur der Mond und das Licht einer Taschenlampe zeigten ihr die Stümpfe, die aus dem Boden ragten. Sie spürte, wie sich an ihrer Ferse eine Blase bildete, spürte, wie sie aufplatzte und wie ihr Ledersneaker darüber scheuerte. Der Wind war kalt, er fuhr durchs Geäst, dass die Wipfel sich zueinander bogen, und ihr wurde bewusst, wie verwegen dieser Akt von Vandalismus wirken würde. Sie spürte, wie Adrenalin ihren Körper flutete, und sie war beschwingt und müde zugleich. Nichts konnte sie dazu bewegen kehrtzumachen.
An der Uni hatte es eine kurzlebige Gruppe gegeben, die sich zusammengefunden hatte, um gegen die Rodung, durch die der Fichtenmarder gefährdet wurde, zu protestieren. Es wurde darüber diskutiert, ob der Neufundländer Fichtenmarder tatsächlich eine eigene Spezies war, wie er gerettet werden könnte, wie sich Geld dafür auftreiben ließe. Es hatte eindeutig ein Gefühl von Dringlichkeit vorgeherrscht. Es war von einem Kuchenbasar und von einem Brief an den Premierminister die Rede gewesen. Die meisten in der Gruppe trugen Fleecejacken und Wanderschuhe; sie studierten Biologie oder Literatur oder Geographie. Colleen war hingegangen, nachdem sie in einem Café auf einem papiernen Tischset einen entsprechenden Aufruf gesehen hatte.
Sie hatte Material über internationale Gruppen aus dem Netz heruntergeladen, über Leute, die sich an Bäume ketteten, und andere, die nichts mehr gegessen oder sich angezündet hatten. Sie hatte Fotos von Julia Butterfly Hill, die auf einen Baum geklettert war und sich dann zwei Jahre lang geweigert hatte, wieder herunterzukommen. Aber sie hatte sich nicht durchringen können, etwas zu sagen. Die anderen waren alle älter und schienen einander zu kennen. Sie saß in einer hinteren Bankreihe und hörte zu, ihre Wangen glühten, das Blut pochte in ihren Schläfen, und schließlich zog sie die Unterlagen aus ihrem Rucksack und klopfte mit dem Daumen auf eine Ecke des Ordners, doch sie konnte sich nicht durchringen, ihn aufzuklappen. Im April war sie wieder zu einem Treffen gegangen, und da waren nur zwei weitere Leute dagewesen. Zu dem letzten Treffen im Mai, als sich das Trimester dem Ende zuneigte, war außer ihr niemand mehr gekommen. Den Rücken an die abgeschlossene Tür des Seminarraums gelehnt, hatte sie eine halbe Stunde dagesessen und gewartet. Sie fühlte sich auf eine seltsame Weise gedemütigt. Sie beschloss, auf eigene Faust aktiv zu werden.
Die Schatten des Unterholzes wurden im Lichtstrahl der Taschenlampe länger und schwenkten von ihr weg, und die Sterne waren sehr hell. Sie musste alles erledigt haben, bevor die Frühschicht anrückte. Fünfundzwanzig Männer waren beauftragt, den Wald komplett abzuholzen. Im Morgengrauen würden sie in Geländefahrzeugen über die Baumgrenze geholpert kommen.
Als Colleen den Kahlschlag erreicht hatte, begann es schon hell zu werden. Entlang des Flusses, am Fuß eines langgestreckten, von jeglicher Vegetation befreiten Hügels, erschien ein Schimmer. Im Dämmerlicht zeichneten sich die Baumwipfel vor dem Himmel ab. Ein bläulichgrüner Streifen war am Horizont zu sehen, und das indigofarbene Dunkel verwandelte sich in ein weicheres Blau. Die Bulldozer, nur als Silhouette zu erkennen, sahen aus wie prähistorische Tiere, majestätische, ruhende Kolosse.
Sie war bereits in den ersten Bulldozer geklettert, hatte ihren Rucksack aufgemacht und Brot und Käse herausgeholt, als die Tür der Sperrholzbaracke, die am Rand des Kahlschlags stand, aufflog
Weitere Kostenlose Bücher