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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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und gegen die Außenwand knallte.
    Ein Mann in Jeans und kariertem Hemd stand in der Tür und begann zu pinkeln. Als er fertig war, hörte sie ihn drinnen umhergehen, Wasser einfüllen, mit Geschirr klappern. Sie blieb lange zusammengekauert im Bulldozer sitzen.
    Schließlich zog sie einen verschließbaren Plastikbeutel voll Zucker aus dem Rucksack und kletterte auf die Motorhaube, wo sich der Einfüllstutzen des Dieseltanks befand. Sie schraubte den Deckel ab und behielt dabei den Schuppen im Auge.
    Sie machte sich bewusst, was sie gerade tat. Schloss die Augen und stellte sich vor, wie der Zucker in die Innereien der Maschine rann, wie er durch die Leitungen und Ventile kroch. Sie malte sich die Überraschung und Bestürzung der Männer aus, wenn die Motoren der fünf Maschinen mehr oder weniger gleichzeitig abstarben.
    Sie hörte ein Radio. Es war unmöglich zu wissen, wann sie sich vom Fleck bewegen konnte, ohne zu riskieren, entdeckt zu werden. Nur die Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken und diese zu manipulieren, die Macht positiven Denkens oder schieres Glück würden verhindern können, dass man sie erwischte. Sie hörte ein jähes Klatschen – der Mann hatte einen Eimer Wasser auf die Steine neben dem Schuppen gekippt. Sie wartete und lief dann zum nächsten Bulldozer.
    Beim Geräusch des rinnenden Zuckers, einem lauten erotischen Zischeln, stellten sich die Härchen auf ihren Armen auf.
    Sie schlich unter einem Fenster der Baracke vorbei und stolperte über eine Emailletasse, und dann rannte sie, was ihre Beine hergaben. Der Mann schrie ihr etwas nach. Doch sie rannte weiter, und sie hörte, dass er ihr folgte. Hinter einer kleinen Erhebung schlug sie sich in den Wald, sodass er an ihr vorbelief. Sie blieb in Deckung, und als er nicht mehr zu sehen war, bahnte sie sich einen Weg tiefer in den Wald, um nicht gesehen zu werden. Ihr Hals und ihre Handgelenke waren von Kriebelmücken zerstochen und brannten. Sie spürte, wie sie zwischen den Zehen gestochen wurde, versuchte sich im Schuh am Stoff ihrer Baumwollsocke zu reiben, konnte es nicht erwarten, kratzen zu können, bis es blutete. Doch sie hielt still. Der Mann kam über die Straße zurück und ging wieder an ihr vorbei. Sie wartete noch eine Stunde, und dann kroch sie aus dem Gebüsch und rannte, so schnell sie konnte, davon.
    Sie war in Hochstimmung, als sie die Schnellstraße erreichte. Es gab noch fünfzig Fichtenmarder im Wald. Natürlich hatte sie die Tiere nicht gerettet. Der Kahlschlag würde weitergehen. Aber es würde ein paar Tage dauern, die Maschinen zu ersetzen. Und die Männer würden fürs Herumsitzen und Nichtstun bezahlt werden.

Valentin
    Valentin und Anton saßen einander gegenüber, und jeder hatte sieben Schnapsgläser vor sich stehen. Sie tranken systematisch, freudlos. Sie unterhielten sich nicht. Einmal legte sich Valentin, mit seinen fünfundvierzig Jahren der Ältere, die Faust auf die Brust, weil ihm der Alkohol in der Kehle brannte. Anton stand auf, zwängte sich in seine Lederjacke und ging zur Bar.
    Valentin war ein Gewohnheitstrinker, er lallte oder torkelte nie, doch seine Züge wurden weicher, wenn er trank. Er war ein brutaler Mann, und das Trinken machte ihn ruhig und entschlossen. Wenn er nüchtern war, scheuten sogar die ungepflegten, grell blondierten, zierlichen Frauen, die sich zu üblen Kerlen hingezogen fühlen, vor ihm zurück. Der Alkohol verlieh ihm eine Entschiedenheit, die auf gefährliche Weise attraktiv war.
    Oft schickte er den Bartender mit einem Drink zu irgendeiner Frau, die ihn interessierte. Er beobachtete sie, während sie den Blick durch den Raum schweifen ließ, und wenn sie ihn entdeckt hatte, prostete er ihr zu.
    Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu nicken.
    Er wusste, dass dieses Zuprosten geringschätzig wirkte, wusste, dass irgendetwas daran noch nicht stimmte, dass er irgendeinen subtilen Aspekt der nordamerikanischen Kultur erst noch erfassen musste, damit seine Aufmerksamkeiten gewürdigt werden konnten. Aber er war nie ein Charmeur gewesen. Was die Frauen an ihm anzog, war eine Art gewiefte Zielstrebigkeit, die etwas Bestrickendes hatte. Die Tür der Bar stand offen, und es goss in Strömen. Er roch den Regen, den dichten Zigarettenqualm und etwas Dumpfiges, Trostloses – ein Gestank nach muffigem Teppich, salziger Hafenluft, Taubenscheiße, der durch den Regen freigesetzt wurde.
    Er wartete auf eine junge Frau mit einem Vorrat an verschreibungspflichtigen Medikamenten, den er

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