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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sie überrascht an. Er wusste, woran man erkannte, dass eine Frau einem Avancen machte, und sie sah jetzt ganz eindeutig danach aus. Er betrachtete sie im Licht der Lampe. Wie alt mochte sie sein? Fünfunddreißig? Sie war wirklich sehr anziehend. Er sah ihr in die Augen und lächelte. Sie drückte seinen Arm leicht, wandte sich dann ab; und er blickte der Lampe nach, die den Hof durchquerte und im Haus verschwand. Dann aß er die Kekse, trank ein bisschen Wasser und legte sich hin. Die Nacht war warm. Das Scheunentor stand offen. Er konnte sehen, dass durch die Läden des Bauernhauses Licht drang. Nach einiger Zeit verlosch es.
    Er wusste nicht, wie lang er gedöst hatte, als ihn ein Geräusch aufweckte. Es kam vom Bauernhaus, und es war laut. Der Bauer schnarchte. Man hätte es wahrscheinlich noch vom Flussufer aus hören können. Tom hielt sich die Ohren zu und versuchte wieder einzuschlafen – es war ihm schon fast gelungen, als er bemerkte, dass er nicht allein war. Das Scheunentor war jetzt geschlossen. Annetje lag neben ihm. Und ihr Körper war warm. Vom Haus her war immer noch das Schnarchen zu vernehmen.
    Als er aufwachte, wurde es schon hell. Er konnte einen fahlen Schimmer unter der Tür ausmachen. Annetje lag nach wie vor neben ihm und schlief. Vom Haus her war kein Schnarchen mehr zu hören. War der Bauer wach? Er stupste Annetje an, und sie regte sich. In diesem Augenblick knarrte das Scheunentor, und ein bleiches, kaltes Licht fiel auf die beiden.
    Der alte Bauer stand in der Tür. In den Händen hielt er ein Steinschlossgewehr. Und das war auf Tom gerichtet.
    Annetje starrte den alten Mann verständnislos an. Doch der Bauer achtete nur auf Tom. Er bedeutete ihm aufzustehen. Tom gehorchte und streifte sich dabei seine Sachen über, dann hob er seinen Mantel und seinen Ranzen auf. Der Bauer winkte ihn zur Tür heran. Würde er ihn draußen erschießen? Aber sobald sie auf dem Hof waren, zeigte der Bauer auf den Pfad, der den Hang hinaufführte. Die Botschaft war klar: Raus hier!
    Tom seinerseits deutete auf den Stall, in dem sein Pferd stand. Der Bauer spannte den Hahn seines Gewehrs. Tom machte einen weiteren Schritt. Der Bauer legte an. Würde der alte Holländer ihn wirklich erschießen? Sie waren meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt. Wen würde es schon kümmern, wenn er spurlos verschwand? Widerstrebend wandte sich Tom wieder zum Pfad und stieg hinauf in den Wald.
    Sobald er aber außer Sichtweite war, blieb er stehen. Nachdem er eine Weile gewartet hatte, schlich er zum Bauernhof zurück. Es war nichts zu hören. Was immer zwischen dem Bauern und Annetje vorgefallen sein mochte, war jetzt anscheinend vorbei. Tom machte einen Bogen um das Haus und stahl sich zur Stalltür.
    Der Knall ließ ihn fast aus seiner Hose springen. Die Kugel sauste dicht über seinen Kopf hinweg und schlug vor ihm in der Stalltür ein. Er drehte sich um und sah den alten Bauern. Er stand unter dem Vordach und lud sein Gewehr nach.
    Tom suchte nach einem Fluchtweg, rannte hinunter zum Fluss, hielt auf den kleinen Steg und das Boot zu. Er brauchte nur einen Moment, um es loszumachen. Gott sei Dank lag ein Paddel im Boot. Doch er war kaum eingestiegen, als ein weiterer Schuss ertönte und ein Aufklatschen im Wasser ihm verriet, dass der alte Mann ihn lediglich um ein, zwei Fuß verfehlt hatte. Er griff nach dem Ruder, stieß sich ab und paddelte wie verrückt stromabwärts. Er legte keine Pause ein, schaute nicht einmal zurück, ehe er eine Viertelmeile hinter sich gebracht hatte. Seitdem war er mit der Ebbe stromabwärts gefahren und hatte angelegt und gerastet, wenn die Flut kam.
    Während seiner Ruhezeiten war ihm allerdings bewusst geworden, dass er immer noch nicht wusste, ob Annetje nun die Ehefrau oder die Tochter des Alten war oder in einer ganz anderen Beziehung zu ihm stand. Eines war allerdings sicher: Der Bauer hatte sein Pferd, und das war eine ganze Menge mehr wert als das Boot, das er gestohlen hatte.
    Dieser Gedanke ärgerte ihn.
    *
    Van Dyck ließ Tom zunächst in Ruhe essen. Nach einer Weile fragte er ihn, ob er in Boston die englische Flotte gesehen habe. Tom schien einen Moment zu zögern, bevor er mit Ja antwortete.
    »Und was genau macht die Flotte eigentlich?«, fragte van Dyck.
    Wieder zögerte der junge Mann. »Als ich aufgebrochen bin«, erklärte er schließlich, »hatten die noch in Boston zu tun.« Er nahm sich einen Maiskuchen und kaute, die Augen zu Boden gerichtet, ein paar Momente

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