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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Während der ersten Maihälfte hatte man nach den zwei mutigen Franzosen gesucht, die bei ihrem Versuch, den Atlantik zu überfliegen, samt ihrem Flugzeug verschwunden waren. Es gab keine Spur von ihnen, nicht die geringste, aber Gerüchte, über Neufundland und Maine sei ein Flugzeugmotor gehört worden, ließ die Hoffnungen vorübergehend wieder aufleben. Doch man fand nichts, und was immer auch aus ihnen geworden sein mochte – New York erreichten sie jedenfalls nicht.
    Am 20. Mai startete dann ein junger Amerikaner, dessen Namen bis dahin kaum jemand kannte, in einem einsitzigen, einmotorigen Schulterdecker, den er Spirit of St. Louis genannt hatte, vom Roosevelt Field, Long Island. Dreiunddreißig Stunden später erreichte der junge Bursche, nachdem er durch Regen, Wind und Nebel, manchmal über den Wolken, manchmal nur wenige Fuß über den Wellen des Atlantik geflogen war, den Pariser Flughafen Le Bourget, wo ihm hundertfünfzigtausend Menschen einen begeisterten Empfang bereiteten. Von dem Augenblick an war der junge Charles Lindbergh eine internationale Sensation. Obwohl sie im selben Monat ihre beiden eigenen Helden verloren hatten, schlossen die Franzosen den jungen Amerikaner sofort in ihre Herzen. Entgegen allem diplomatischen Protokoll Heß der Außenminister am Quai d’Orsay das Sternenbanner hissen. Der französische Staatspräsident verlieh ihm den Orden der Ehrenlegion.
    Jetzt war Lindbergh wieder in Amerika. Eine Gelegenheit, die sich New Yorks sportbegeisterter Bürgermeister Walker nicht entgehen lassen würde. Am Montag, den 13. Juni, wurde Charles A. Lindbergh mit einer Ticker-tape-Parade geehrt.
    Salvatore und Luigi schauten sich diese Konfettiparade auf der Fifth Avenue an. Während die Börsentickerstreifen wie Konfetti herunterregneten, jubelten die Volksmassen. Onkel Luigi war ganz besonders aufgeregt.
    »Weißt du, wann die erste Konfettiparade veranstaltet wurde?«, brüllte er Salvatore zu.
    »Nein«, sagte Salvatore, »aber du wirst es mir ganz bestimmt gleich erzählen.«
    »Das war 1886, zur Einweihung der Freiheitsstatue. Verstehst du? Die Statue war ein Geschenk der Franzosen, Lindbergh schafft den ersten Flug nach Paris, wir erweisen ihm dieselbe Ehre.«
    »Schon kapiert. Vive la France. «
    »Esattamente! «
    Auf dem Heimweg sah Salvatore seinen Onkel liebevoll an. Onkel Luigi war inzwischen über sechzig, doch noch immer so neugierig und begeisterungsfähig, wie er mit dreißig gewesen war. Stirb mir ja nie, dachte Salvatore. Ohne dich würde ich mich sehr einsam fühlen.
    »Das war sehr nobel, was du für Angelo getan hast«, bemerkte Onkel Luigi. »Ich glaube nicht, dass ich das fertiggebracht hätte.«
    »Ach was«, sagte Salvatore. Und es war wirklich nicht so schwer gewesen. Einmal, das musste man schon zugeben, hatte es sein Ansehen in der Familie gesteigert. Es hatte mit Sicherheit jeden auf der Hochzeit beeindruckt. Außerdem war er sich sicher, dass Paolo von ihm erwartet hatte, dass er das Geld mit Angelo teilte. Aber da war noch ein weiterer Gedanke gewesen.
    »Anna hätte es so gewollt«, sagte er.
    In gewisser Weise war es ein Akt der Befreiung gewesen.
1929
    Mitte September suchte Onkel Luigi seinen Börsenmakler auf. In der Regel genoss er diese Besuche. Zwanzig Jahre war es her, dass er im Restaurant zufällig mitgehört hatte, was jemand über die Maklerfirma sagte. Er versuchte immer zuzuhören, wenn Wall-Street-Männer ins Restaurant kamen – und da seine bodenständige, aber erstklassige italienische Küche in immer weiteren Kreisen bekannt wurde, kamen gelegentlich auch solche Gäste. Dadurch lernte er eine ganze Menge. Die fragliche Firma, hatte er gehört, war ein sehr großes Unternehmen und zählte wichtige Investoren zu ihren Kunden, aber sie betreute auch Kleinanleger und behandelte alle ihre Kunden mit nahezu gleicher Höflichkeit.
    Es machte ihm Freude, durch die schöne Tür zu treten und dann in einem ausladenden Ledersessel in dem holzgetäfelten Zimmer Platz zu nehmen, in dem einmal im Jahr ein höherer Mitarbeiter der Firma höflich seinen Kontostand mit ihm erörterte.
    »Ich frage mich«, sagte Onkel Luigi zu ihm, »ob ich nicht mein Aktienpaket abstoßen sollte.«
    »Warum sollten Sie das tun?« Der Angestellte war ein gepflegter kleiner Mann in den Vierzigern.
    »Die Kurse sind ein bisschen gefallen.«
    »Es hat ein paar Gewinnmitnahmen gegeben, doch das überrascht uns nicht weiter.«
    »Nichts steigt ewig«, gab Onkel Luigi zu bedenken.

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