Im Rausch der Freiheit
wenn auch widerwillig, zu begreifen, dass Teresa, ihre Eltern und Onkel Luigi – so demütigend es auch sein mochte – recht gehabt hatten.
Sein Bruder war der Talentiertere von ihnen beiden. Der vollauf glücklich sein würde, mit dem Kopf – und nicht mit den Händen – zu arbeiten. In einem Büro zu sitzen, Briefe zu schreiben, die Bücher zu führen, während er, Salvatore, sein Leben im Freien verbrachte. Ja, trotz der zehntausend Dollar, die er jetzt besaß, würde nicht er, sondern Angelo der Geschäftsmann werden. Das Schicksal war grausam, doch nicht zu ändern.
*
Die Hochzeit fand am zweiten Sonntag im Juni auf Long Island statt. Verständlicherweise verspürte Salvatore nicht den Wunsch, den Trauzeugen zu spielen, also hatte Onkel Luigi es taktvoll eingerichtet, dass Giuseppe das Amt übernahm.
Es wurde eine große Sache. Vonseiten der Carusos kamen ein paar Freunde aus der Stadt, aber Teresas Familie hatte die halbe Bevölkerung ihres Kreises mobilisiert – ein beeindruckender Beweis des Ansehens, das sie in ihrer Gemeinde genossen.
Die Zeremonie bedeutete für Salvatore eine ziemliche Tortur. Als er Teresa sah, und wie entzückend sie ausschaute, stockte ihm das Herz. Und während er sie, plötzlich von Liebesqual gepeinigt, weiter anstarrte, fragte er sich: Wie konnte das nur geschehen?
Seinen kleinen Bruder dagegen hätte er im ersten Moment fast nicht erkannt. Angelo hatte sich die Haare schneiden und dafür einen Schnurrbart stehen lassen. Sein Gesicht – schmaler als das seiner Brüder – sah nicht mehr schmächtig, sondern vornehm aus, männlich und auffallend schön. Als er Salvatore entgegenkam, um ihn zu begrüßen, lag in seinen Bewegungen die Anmut und Selbstsicherheit eines Tänzers.
Und noch einmal traf ihn die grausame, aber unbestreitbare Erkenntnis, dass Teresa und ihre Eltern Klugheit bewiesen hatten, indem sie aus der Familie Caruso den einen auswählten, der sich aus dem Durchschnitt heraushob, der das Zeug dazu besaß, mehr aus sich zu machen. Und auf ihre bescheidene Weise würden sie ihm dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen. Er verspürte einen Stich von Eifersucht, doch er erkannte die Wahrheit an.
»Ich bin so stolz auf dich!«, flüsterte er Angelo zu, als er ihn umarmte. Und er meinte es wirklich so.
Nach der kirchlichen Trauung gingen alle zum Haus von Teresas Eltern zurück. Da dies eine italienische Hochzeit war, wartete der Trauzeuge des Bräutigams mit einem riesigen Tablett voller Gläser an der Haustür, damit jeder auf das Brautpaar trinken konnte. Anschließend zogen alle an dem Tisch vorbei, an dem die beiden Mütter hinter den Helferinnen saßen, die gewissenhaft alle Geschenke der Gäste notierten.
Natürlich hatten die Angehörigen das Paar schon reichlich beschenkt, wobei Teresas umfangreiche Familie sie mit Geschenken geradezu überschüttete, und auch wenn die Carusos nicht ganz mithalten konnten, war die Ehre der Familie dank Onkel Luigis schönem Porzellanservice und dem Geschenk, das der große Caruso samt einem signierten Photo geschickt hatte, durchaus gerettet. Die Gaben waren für alle gut sichtbar ausgestellt. Salvatore hatte lange und angestrengt darüber nachgedacht, was er schenken sollte, und jetzt stand eine schöne Kristallvase von ihm neben Onkel Luigis Service.
Während des Tanzes würde die Braut außerdem einen Seidenbeutel am Arm tragen, in den die männlichen Gäste Geld stecken mussten.
Anders dieser Tisch. Hier gaben die Gäste, die in einem besonderen Verhältnis zur Familie standen, ihre Geschenke vor den Augen aller Anwesenden ab, und die Helferinnen trugen diese samt Namen des Spenders und geschätztem Wert in eine Liste ein. Wehe dem Gast, der seiner Verpflichtung nicht nachkam! Alle würden wissen, dass er ein Knauser war – er würde wahrhaft eine brutta figura machen!
Da er zur Familie gehörte, erwartete man von ihm nicht, dass er sich an diesem Ritual beteiligte. Doch als er den Gabentisch erreichte, blieb er stehen und nannte den Helferinnen seinen Namen.
»Ich möchte meinem Geschenk noch ein weiteres hinzufügen«, sagte er ruhig. »Das hier ist für meinen Bruder Angelo, den ich liebe, zu seiner Hochzeit.« Und damit zog er ein schmales Stück Papier aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Die Helferinnen schnappten hörbar nach Luft. Es war ein Scheck, ausgestellt auf den Betrag von fünftausend Dollar.
*
Am zweiten Montag im Juni des Jahres 1927 fand in New York City ein großes Ereignis statt.
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