Im Rausch der Freiheit
von Brewster, der seinen Betrieb in Queensboro, Long Island, hatte – war ebenfalls silberfarben lackiert. Auch den Nachfolger, den Phantom II, gerade frisch auf den Markt gekommen, würde er in Silber lackieren lassen, sobald er ihn erworben hatte.
Nachdem er vor der Firma ausgestiegen war, hatte er Joe, dem Chauffeur, gesagt, dass er ihn an dem Tag nicht mehr brauchen würde, er also Rose zum Einkaufen fahren solle. Joe war ein guter Mann, kam von irgendwo im Mittelwesten, behauptete, er habe eine indianische Großmutter. Immer freundlich, machte aber den Mund erst auf, wenn man ihn dazu aufforderte.
Dann aber war William zu einer Besprechung oben auf der 42nd Street gerufen worden und hatte ein Taxi genommen. Nach der Sitzung machte er sich, um sich ein bisschen Bewegung zu verschaffen, zu Fuß auf den Weg in Richtung Lexington. Während er die Straße entlang ging, schaute er zu dem Wolkenkratzer hinauf, der an der Ecke in den Himmel ragte. Plötzlich blieb er stehen und riss die Augen auf. Und dann fiel ihm die Kinnlade herunter.
»Mein Gott«, sagte William Master.
Das musste man Walter Chrysler schon lassen. Stil hatte er. Als der Automobilbauer das Bauprojekt übernommen hatte, das jetzt seinen Namen trug, hatte er auf kühnen Art-Déco-Verzierungen bestanden, die Radkappen, Kühlerdeckeln und vielem anderem mehr nachempfunden waren. Der zur Zeit im Bau befindliche Helm des Hochhauses bestand aus einem System gestaffelter Bögen, die in einer abschließenden Zinne gipfelten: Und das alles sollte zuletzt mit rostfreiem Stahl verkleidet werden. Unvorstellbar elegant, würde es, einmal fertiggestellt, auf der ganzen Welt nichts Vergleichbares neben sich haben.
Und dann war da noch die Frage der Höhe. Das höchste Gebäude der Welt war natürlich der Pariser Eiffelturm. Aber die kühnen New Yorker arbeiteten sich langsam voran. Ein Finanzier namens Ohrstrom baute gerade unten an der Wall Street 40 einen gigantischen Turm, der dem Chrysler Building Konkurrenz machen sollte, und wie man sich erzählte, würde Ohrstroms Gebäude, wenngleich nicht ganz so elegant, das Größere von beiden werden und jeden anderen Wolkenkratzer in der Stadt überragen. Ein dritter Turm unten an der 34th würde möglicherweise ebenfalls nach der Krone greifen, doch da hatten die Bauarbeiten noch nicht einmal angefangen.
Hoch oben, am Helm des Chrysler Building, ragte die Pyramide aus – noch unverkleideten – sich verjüngenden Bögen wie ein Netz von geschwungenen Trägern in den Himmel.
Doch jetzt ereignete sich, direkt vor William Masters Augen, etwas Unglaubliches: Plötzlich begann sich aus der Mitte des Turmhelms das Stahlgerippe einer Zinne hinaufzuarbeiten. Fuß um Fuß schob es sich empor, wie der Querschnitt eines schlanken Teleskops. Drei, fünf, zehn Meter. Das Gebilde musste im eigentlichen Gebäude verborgen gewesen sein, und jetzt wurde es mithilfe irgendeines Mechanismus in die Höhe gedrückt. Es schob sich den Wolken entgegen. An seiner Spitze war ein Sternenbanner befestigt, das im Höhenwind flatterte. William hatte noch nie so etwas gesehen. Und was ihn noch mehr verblüffte, als er sich auf der von Menschen wimmelnden Straße umsah: Keiner außer ihm schien auf das Schauspiel aufmerksam geworden zu sein.
Wie viel höher konnte die Zinne noch steigen? Er hätte es nicht zu sagen vermocht. Am Himmel darüber rasten die Wolken dahin – Gott allein wusste, was da oben für Windgeschwindigkeiten herrschen mochten –, doch der gewaltige Dorn wuchs immer höher. Dreißig Meter, vierzig, fünfzig, höher und höher.
Als das Ding endlich innehielt, schätzte er, dass der Höhe des Gebäudes noch fast siebzig Meter hinzugefügt worden waren. Und jetzt schwärmten Arbeiter wie Ameisen um die Basis und fixierten den gigantischen Stachel an seinen Platz.
Zuletzt sah er eine einzelne winzige Gestalt die schmale Trägerkonstruktion hinaufsteigen. Der Mann kletterte immer weiter, bis er ganz oben bei der flatternden Flagge stand, auf halbem Weg zum Himmel. Was machte er da? Er ließ eine Lotschnur hinunter, überprüfte, ob der Wolkenkratzer auch wirklich senkrecht stand. Nach einem Weilchen stieg er, offenbar mit dem Ergebnis zufrieden, wieder herunter.
Master schaute weiter fasziniert zu. Erst als er versuchte, einen Blick auf seine Uhr zu werfen, und merkte, dass sein Hals so steif war, dass er kaum nach unten sehen konnte, erkannte er, dass er fast anderthalb Stunden lang nach oben gestarrt hatte.
Das war
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