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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gleichzeitig auch für Morgan als Broker tätig, ruhig aus dem Haus Wall Street 23 heraus, ging schnurstracks zum Parkett und fing an zu kaufen. Große Summen, große Aktienpakete, weit über dem Angebotskurs. Die Banken hatten ihm 240 Millionen Dollar für den Bedarfsfall zur Verfügung gestellt, aber er brauchte nur einen Bruchteil davon auszugeben. Mit einem großen Seufzer der Erleichterung begann der Markt sich zu beruhigen.
    Der gottgleiche Geist Pierpont Morgans war vom Olymp herabgestiegen, um die Wall Street abermals unter seinem Zepter zu sammeln.
    An jenem Abend nahm William an einer großen Versammlung von Maklern teil. Alle waren sich darin einig, dass kein Grund zur Panik bestehe. Am Freitag und am Samstag kam es an der Börse zu keiner weiteren Krise.
    Der Rest des Wochenendes verlief für ihn ruhig. Am Sonntag erschien Charlie zum Mittagessen. »Streng genommen«, erklärte William ihm und Rose, »steht der Markt nach diesem Massenausverkauf so gut da wie seit Monaten nicht mehr.« Dann bat er Charlie, seiner Mutter Gesellschaft zu leisten, und ging im Central Park spazieren.
    Er brauchte etwas Zeit für sich, um nachdenken zu können.
    Was war wirklich passiert? Vermutlich bestand das grundlegende Problem darin, dass in den letzten Jahren zu viel Geld auf dem Aktienmarkt umhergeswitcht war. Dabei war es ja keineswegs so gewesen, dass die Wirtschaft geboomt hätte. Doch weil Landwirtschaft und Rohstoffpreise schwach waren, suchten die Leute, anstatt in diese traditionellen Sektoren zu investieren, ihr Heil an der Börse. Das Geld floss in Strömen; Maklerfirmen, Banken und andere Finanzinstitute florierten. Aber selbst die riesige amerikanische Wirtschaft bot nicht genügend gewinnbringende Aktien an und so stiegen die Preise. Schließlich brach die pure Gier aus.
    Kleininvestoren, die besser daran getan hätten, etwas von ihren Ersparnissen in solide Wertpapiere zu stecken, kauften wie wild. Bei einer Gesamtbevölkerung von hundertzwanzig Millionen Einwohnern tummelten sich jetzt zwei, vielleicht drei Millionen an der Börse. Das war verdammt viel. Und mehr als eine halbe Million dieser Bürger kaufte mit einer Sicherheit von zehn Prozent – das heißt, für jeden Tausender, den sie investierten, legten sie lediglich hundert auf den Tisch, während Kreditinstitute ihnen den Rest liehen. Seriöse Maklerfirmen wie seine liehen ihren Kunden für Aktienkäufe bis zu zwei Dritteln der nötigen Summe. Das Geld trieb die Aktienkurse immer weiter in die Höhe. Man konnte einfach nicht verlieren. Und es ging nicht nur um Aktien. William wusste verdammt gut, dass einige Banken ihre faulsten südamerikanischen Kredite stückelten und Dummköpfen als einträgliche Staatsanleihen andrehten. Solange sämtliche Kurse stiegen, merkte keiner was.
    Und nicht nur der Mann auf der Straße – die Makler und Händler waren auch nicht viel besser. Von ihrem eigenen Erfolg berauscht taten die meisten von ihnen so, als habe es noch nie eine Baisse gegeben.
    William ging einmal quer durch den Park, bis er vor dem Dakota stand. Dann ging er langsam, tief in Gedanken zurück.
    Vielleicht war das ein heilsamer Schock. Vielleicht war es höchste Zeit für eine tiefgreifende Erschütterung. Nicht nur für den Aktienmarkt, sondern für die ganze Stadt.
    Tatsache war, dass ganz New York vergessen zu haben schien, was das Wort Moral bedeutete. Was war aus dem verantwortungsbewussten Investitionsgebaren geworden? Was aus harter Arbeit und Sparsamkeit? Was war in dieser Welt der Flüsterkneipen und Alkoholschmuggler und Unterweltmorde und losen Frauen aus der guten alten puritanischen Ethik geworden? Das Leben war zu leicht; sie waren alle verweichlicht. Daran traf ihn nicht weniger Schuld als alle anderen. Man brauchte sich nur Charlie anzusehen. Charmant, witzig, ja, aber tief in seinem Inneren nur ein verzogenes Reiche-Leute-Kind. Und dazu hatte er nach Kräften beigetragen, dachte er. Weil er ihm alles durchgehen ließ.
    Also was tun? Er wollte verdammt sein, wenn er es wusste. Aber wenn diese kleine Krise die Menschen dazu bringen konnte, sich wieder auf die wichtigen Dinge im Leben zu besinnen, dann war sie vielleicht all das wert, was sie ihn gekostet haben mochte.
    Wie groß seine finanziellen Verluste waren, wusste er noch nicht genau. Die Firma musste einen gewaltigen Schlag einstecken, doch erledigt war sie keinesfalls. Morgen früh würde er sich mit seinem Buchhalter die Konten anschauen.
    *
    Während der folgenden Woche

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