Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
plötzlich nach links.
    Die Mohawks hatten ihn. Sie zerrten ihn zu sich, Gott sei Dank, und hielten ihn fest.
    Hätte sich Salvatore nicht nach den Mohawks umgedreht, wäre es vielleicht nicht passiert. Doch als er die Kante der Plattform erreichte, rutschte er aus, stolperte über die niedrige Brüstung und fiel kopfüber ins Leere.
    Salvatore Caruso wusste, dass er sterben würde. Als er merkte, dass er über den Rand flog, konnte er mit einem Mal sehr schnell und klar denken. Ich werde wie meine Schwester Anna sterben, dachte er. Er hätte Angelo gern gesagt, dass er ihn liebte und ihn überhaupt nicht hasste. Doch dann wurde ihm bewusst, dass Angelo ja gar keine Ahnung von den schändlichen Gedanken hatte, die ihm erst Augenblicke zuvor durch den Kopf gegangen waren. Es war also alles in Ordnung.
    Neun Stockwerke tiefer hing der Laufsteg. Er hatte eine stabile Überdachung, die die Steinsetzer vor etwaigen fallenden Gegenständen schützen sollte. Wenn er auf dieses Dach aufschlug, würde er vom Aufprall mit Sicherheit sterben, falls sein Sturz dadurch überhaupt aufgehalten werden konnte. Wahrscheinlicher schien ihm, dass er vom Dach abprallte und dann wie ein Stein auf die Straße hinunterstürzte. Er musste versuchen, den Laufsteg zu verfehlen, und dann im Fallen schreien, um die Passanten tief unten auf dem Bürgersteig zu warnen.
    Er hörte eine Stimme von oben seinen Namen schreien. Es war Angelo.
    Da war nur eins, woran er nicht gedacht hatte. Das wurde ihm einen Augenblick später bewusst.
    Er fiel nicht so schnell, wie er hätte fallen sollen.
    Wenn der Wind auf ein hohes Gebäude trifft, wird seine Strömung aufgehalten. Sie sucht nach einem Ausweg. Oft wendet sie sich nach oben. So wie der Wind eine Felswand hinaufbläst und einen zurückwirft, wenn man von oben über die Kante schaut, jagen stets starke Aufwinde über die hohen Fassaden von Wolkenkratzern.
    Im Fallen bemerkte Salvatore jetzt, dass Angelos Zeichenblock, der eigentlich weit unter ihm hätte sein müssen, wie ein Vogel flatternd aufstieg und über ihm schwebte. Während die plötzliche Bö von Westen her Angelo den Block aus der Hand gerissen hatte, war durch die starken Wirbel, die die gegenläufigen Winde erzeugten, eine Luftsäule entstanden und jäh die Ostwand des Hochhauses hinaufgeschossen.
    Und jetzt fing sie den stürzenden Salvatore wie eine Engelshand auf und drückte ihn gegen den Stahlrahmen des Gebäudes zurück, sodass er drei Stockwerke tief auf eine vorspringende Brüstung krachte.
    Beim Aufprall verlor er das Bewusstsein und brach sich ein Bein.
    *
    Es war ein Frühlingsmorgen im Jahr 1931, ein Montag, und William Master kleidete sich gerade an. Er hätte beim besten Willen nicht sagen können, warum er diese eine Schublade öffnete – das hatte er seit Monaten nicht mehr getan. Sie enthielt ein paar alte Krawatten und ein paar Westen, die er nie trug. Dann fiel ihm der Gürtel ins Auge.
    Er holte ihn heraus. Das Ding wurde seit Gott weiß wie lange in der Familie weitervererbt. Sein Vater hatte ihm gesagt: »Behalt ihn lieber. Das ist Wampum. Soll Glück bringen.«
    William zuckte die Achseln. Ein bisschen Glück konnte heute ganz bestimmt nicht schaden. Aus einem Impuls heraus beschloss er, den Gürtel anzulegen. Unter dem Hemd natürlich – er wollte schließlich nicht wie ein verdammter Idiot aussehen. Dann kleidete er sich wie gewohnt an -jeder Zoll der erfolgreiche Geschäftsmann. Wenn er schon unterging, dann mit Stil.
    Außerdem sollte man nie die Hoffnung aufgeben.
    Er stieg hinunter ins Parterre, verabschiedete sich von Rose mit einem Kuss, als sei das ein Tag wie jeder andere auch, und verließ das Haus.
    Joe wartete draußen stramm neben dem Rolls.
    »Guten Morgen, Sir«, sagte Joe, während er ihm den Wagenschlag aufhielt.
    »Morgen, Joe. Schöner Tag.« Vorübergehend getröstet stieg er ein. Joe war ein guter Mann. William fragte sich, ob er noch lange in seinen Diensten stehen würde. Wahrscheinlich nicht.
    Während sie die Fifth hinunterfuhren, blickte er auf den Park. Die Rasenflächen waren mit Narzissen und Krokussen übersät.
    Er hatte Charlie gesagt, dass er ihn heute in der Firma nicht brauchen würde. Er wollte niemanden außer seinem Bürovorsteher sehen. Der zuverlässige Mann hatte sich das ganze Wochenende über mit den Büchern beschäftigt.
    Denn heute war der Tag der Abrechnung. Länger konnte er sie nicht mehr hinausschieben. Es standen eine ganze Reihe Telephonate an, und damit würde

Weitere Kostenlose Bücher