Im Rausch der Freiheit
sind, ich will sie mir ansehen.«
An der Auffahrt angelangt setzte sich Master den Hut auf, stieg aus und ging auf die Brücke zu. Die Tragseile waren schon alle angebracht. Ein Fußgängerweg führte hinüber, und es wurde bereits die Fahrbahndecke gelegt. Er ging an einigen Arbeitern vorbei, dann kam ihm ein Mann entgegen, der wie ein Vorarbeiter aussah, und begrüßte ihn. Master lächelte ihn freundlich an.
»Ihr Jungs leistet hervorragende Arbeit.«
»Danke, Sir.«
»Wir haben erst neulich über euch gesprochen.« Er sah dem Vorarbeiter an, dass er sich fragte, wer genau »wir« sein mochte. »Ihr seid dem Zeitplan weit voraus.«
»Das stimmt, Sir. Sie sind …?«
»Ich bin Mr Master«, sagte William bestimmt. »Hätten Sie Lust, mich ein bisschen herumzuführen? Ich würde mir das gern einmal genauer ansehen.«
Der Vorarbeiter stutzte nur einen Moment, schaute ihn an, warf einen Blick auf den Rolls-Royce und entschied offenbar, dass er besser nicht riskieren sollte, den reichen Gentleman zu verärgern.
»Hier lang, Sir«, sagte er. »Sie müssen aber aufpassen.«
Als er auf dem Überweg stand, blickte William nach Norden. Wie mächtig der Fluss war und dabei doch so unbeirrt, wie gelassen er von den fernen Staaten herunterströmte. Wie würdig die Felswand der Palisades aussah. Und doch wie hart und unerschütterlich. Jetzt nach Süden gewandt blickte er auf die lang gezogene Küste von Manhattan, auf die fernen Türme des Finanzdistrikts und die offene Fläche der Bucht jenseits davon.
Ihm schien, als stünde die Familie jetzt wieder ganz am Anfang. Es gab nur ihn und den Fluss.
William blickte hinunter aufs Wasser. Wenn er springen wollte, wäre das der richtige Augenblick. Vor Jahren war ein Bursche wegen einer Wette von der Brooklyn Bridge gesprungen. Er hatte es nicht überlebt. Hier hinunterzuspringen würde ein Kinderspiel sein und kein schlechter Abgang. Mit etwas Glück verschluckte ihn der große Strom, nahm ihn in sein Schweigen auf, und er spürte nie wieder etwas. Einfach aus seinem Rolls-Royce aussteigen, wie es sich für einen Gentleman gehörte, und in den großen Schlaf eingehen. Die Familie würde schon zurechtkommen. Und ohne ihn umso besser.
Oder doch nicht? Sicher, Charlie blieb weiter Charlie. Ob arm oder reich spielte bei seiner Lebensweise keine allzu große Rolle. Aber wie sah’s mit seiner Frau aus? Rose mit ihrer albernen Versessenheit auf das Haus in Newport, ihren Träumen von Marmorhallen und weiß der Herrgott was sonst noch. Wie würde sie mit der Liquidation seiner Firma fertigwerden? Mit Sicherheit nicht gut. Er schüttelte den Kopf.
Es erforderte weniger Mut zu springen, als nach Hause zu gehen. Aber er musste sich der Situation stellen. Er drehte sich um. Der Vorarbeiter eilte herbei, um ihn zurückzubegleiten.
»Werden Sie zur Eröffnung kommen, Sir?«, fragte er höflich.
»Oh, höchstwahrscheinlich.«
*
Er erzählte es Rose nicht sofort. An dem Abend sah sie sehr hübsch aus. Sie trug ein Seidenkleid und das eng anliegende breite Perlenhalsband, das sie so liebte. Er wünschte, er könnte ihr gute Neuigkeiten bringen.
Während des Abendessens, in Anwesenheit der Bediensteten, sagte er natürlich nichts. Ebenso wenig erzählte er es ihr, während sie anschließend in der Bibliothek am Kamin saßen, fürchtete er doch, dass sie die Nerven verlieren und eine Szene machen würde. Er wartete, bis sie sich zurückgezogen hatten und ganz allein waren.
Rose besaß ein kleines Boudoir, das direkt vom Schlafzimmer abging. Sie hatte ihrer Zofe gesagt, dass sie sie nicht mehr brauchen würde, und saß jetzt dort allein und nahm ihre Ohrringe ab. Er trat an ihre Seite.
»Ich habe schlechte Nachrichten, Rose«, sagte er.
»Das tut mir leid, mein Lieber.«
»Es sind sehr schlechte Nachrichten. Du musst dich auf Schlimmes gefasst machen.«
»Ich bin bereit, mein Lieber. Haben wir unser ganzes Geld verloren?«
»Ja.«
»Ist uns irgendetwas übrig geblieben?«
»Vielleicht. Fünfzigtausend Dollar. So in der Richtung. Die Firma ist jedenfalls erledigt. Die Häuser müssen verkauft werden. Das hier eingeschlossen.« Er hielt kurz inne. Sie sah zu ihm auf und nahm seine Hand.
»Es kommt nicht überraschend, weißt du. Ich habe es schon die ganze Zeit erwartet.«
»Wirklich?«
»Ich dachte mir schon, dass du in Schwierigkeiten stecktest. So vielen Leuten geht es nicht anders.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Was möchtest du denn sagen?«
»Ich …
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