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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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in Spanien zu kämpfen. Vielleicht wäre sein Leben anders verlaufen, wenn er das getan hätte.
    Denn Onkel Herman kehrte niemals zurück. Es war ein Thema, über das ihr Vater beim besten Willen nicht sprechen konnte. Also wurde der arme Mann in der Familie nie mehr erwähnt.
    »Ich war Kriegsberichterstatter«, sagte Charlie. »Für die Hearst-Blätter. Ich habe mit Hemingway ein paarmal einen gehoben, das ist alles.«
    Sarah lachte laut auf.
    »Sie lachen mich aus«, sagte er.
    »Nein. Ich bin beeindruckt. Wie war Hemingway?«
    »Ein netter Bursche. Ich fand ihn sympathischer als Dos Passos oder George Orwell.«
    »Dos Passos? Orwell? O mein Gott, das muss ja sagenhaft gewesen sein!«
    »Stimmt. Aber Bürgerkriege sind eine hässliche Sache. Eine blutige Sache.«
    »Hemingway wurde verwundet.«
    »Ich übrigens auch.«
    »Wirklich? Wie ist es passiert?«
    »Ganz in der Nähe der Stelle, wo ich hockte und berichtete, lag ein Verwundeter. Man konnte ihn schreien hören. Es gab eine Bahre, jedoch nur einen Träger.« Er zuckte die Achseln. »Da bin ich eingesprungen. Hab auf dem Rückweg ein paar Schrapnellkugeln abgekriegt.« Er grinste. »Eine befindet sich noch immer im Bein, die meldet sich manchmal.«
    »Haben Sie eine Narbe?«
    »Natürlich.«
    »Immerhin haben Sie einen Mann gerettet.«
    »Er hat’s nicht geschafft.«
    Charlie Master trug einen Schnurrbart, einen grau melierten. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob der Bart sie mehr an Hemingway oder an Tennessee Williams erinnerte. Er sah jedenfalls gut aus. Mr Master hatte erwähnt, dass es einen Sohn gab. Auch eine Frau?
    »Und was haben Sie im Zweiten Krieg gemacht?«, fragte sie. »Haben Sie in Europa gekämpft?«
    »In Newport.«
    »Newport, Rhode Island?«
    »Verfügt über einen der besten Tiefwasserhäfen des Landes. Die Briten benutzten ihn während des Unabhängigkeitskriegs. Dort war einiges los, besonders ’43 und ’44. Küstenverteidigung, Marineschulen, und, und, und. Ich diente bei der Küstenwache.« Er lächelte. »Tatsächlich war es für mich wie eine Rückkehr in die Kindheit. Wir hatten dort früher ein Cottage.«
    »So einen dieser Paläste, meinen Sie?«
    »Das nicht, aber ziemlich geräumig schon. Als mein Vater beim Börsenkrach sein ganzes Geld verlor, wurden beide Häuser, das in Newport und das in der Stadt, verkauft. Meine Eltern mussten in eine Wohnung an der Park Avenue ziehen.«
    Sie hatte sich schon gedacht, dass Charlie Master irgendwie ein Blaublütiger sein musste. Das verriet diese weiche Intonation. Aber aus Armut in die Park Avenue ziehen? Das war eine andere Welt.
    »Da haben Sie während der Depression ja wirklich erfahren, was Entbehrungen sind«, lachte sie, bedauerte dann sofort ihren Sarkasmus.
    Er warf ihr einen ironischen Blick zu.
    »Klingt irgendwie absurd, nicht? Aber glauben Sie mir«, fuhr er ernsthafter fort, »in der Anfangszeit der Depression war es von echtem Reichtum zu bitterer Armut nur ein winziger Schritt. Bei jeder freien Stelle gab es eine Schlange, die rund um den Block ging. Wall-Street-Händler – ich meine Leute, die man kannte – verkauften auf der Straße Äpfel. Ich erinnere mich, wie ich einmal mit meinem Vater zu Fuß unterwegs war, und er schaute einen dieser Burschen an und sagte: ›Zwei, drei Prozentpunkte, Charlie, und der da könnte ich sein.‹«
    »Glauben Sie das?«
    »Oh, absolut. Als die Firma meines Vaters abgewickelt werden musste, hätten wir ohne Weiteres bankrott sein können, völlig am Ende. Haben Sie je den Central Park während der Jahre der Depression gesehen? Die Leute stellten da Hütten hin, ganze Barackensiedlungen, weil sie nirgendwo sonst ein Dach über dem Kopf hatten. Eines Tages entdeckte mein Vater dort einen seiner Freunde. Er brachte ihn mit nach Hause, und er wohnte monatelang bei uns. Ich weiß noch, er schlief auf der Couch. Wir konnten uns also glücklich schätzen, aber glauben Sie mir, das war uns vollauf bewusst.« Er nickte nachdenklich. »Was ist mit Ihrer Familie? Wie kamen Sie zurecht?«
    »Meine verrückte Familie? In der Familie meines Vaters bekam immer nur ein Kind eine richtige Ausbildung. In dem Fall war’s mein Vater. Er wurde Zahnarzt. Selbst während der Depression kriegten die Leute Karies. Wir kamen also zurecht.«
    »Sehr gut.«
    »So gut auch wieder nicht. Mein Vater war nicht gern Zahnarzt. Er wäre lieber Konzertpianist geworden. Er hat noch heute ein Klavier in seiner Praxis stehen, und darauf übt er, während er auf

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