Im Rausch der Freiheit
Gorham war fünf und blond und blauäugig wie seine Eltern. Kinder ähneln im Laufe der Jahre verschiedenen Verwandten, aber zumindest momentan sah Gorham wie sein Vater aus. Charlie wusste, dass sein Sohn ihn brauchte, und er tat für den Jungen, was er konnte.
»Gehen wir heute Abend in eine Show?«, fragte Gorham.
»Ja. Wir gehen in South Pacific. «
»Ehrlich? Wirklich?«
»Versprochen.«
Auf dem Gesicht des kleinen Jungen erschien ein riesiges Lächeln. » South Pacific« ,murmelte er.
Er war eigentlich viel, viel zu jung dafür, aber aus welchem Grund auch immer hatte er sein Herz daran gehängt, das Musical zu sehen – was konnte man da also machen? Als Charlie ein paar Jahre zuvor gehört hatte, Rodgers und Hammerstein würden James Mitcheners Roman zu einem Musical verarbeiten, hatte er sich gefragt, wie das funktionieren sollte. Nun, ein halbes Dutzend Erfolgssongs und fast zweitausend Aufführungen später hatte er seine Antwort. Selbst jetzt noch musste er den doppelten Preis bezahlen, um die Sitzplätze zu ergattern, die er für den Abend haben wollte. Nach all den Mühen hoffte er, dass sich der kleine Junge amüsieren würde.
Während sein Sohn sich auf das bevorstehende Vergnügen freute, schweiften Charlies Gedanken zu dem Mädchen zurück, das er gerade kennengelernt hatte.
Die Photosammlung bedeutete ihm viel. Er hatte Edmund Keller sehr gemocht. Während der Depression erwies sich Keller nicht nur als guter Freund, sondern besorgte ihm sogar ein paar Lehraufträge an der Columbia, die ihm ein kleines Zusatzeinkommen verschafften. Es war ein furchtbarer Schock gewesen, als Keller ihm ein paar Jahre zuvor eröffnete, er habe Krebs.
»Charlie, ich möchte, dass Sie die Treuhandschaft über die Photographien meines Vaters übernehmen. Es gibt niemanden in der Familie, der das tun könnte. Wenn Sie damit irgendwelche Gewinne erzielen, möchte ich, dass Sie eine Gebühr für sich einbehalten und den Rest zu meinem Nachlass schlagen. Würden Sie das für mich tun?«
Die Sammlung war überwältigend. Eine kleine Wohnung oben am Riverside Drive, in der Nähe der Columbia, diente als Büro und Lager, und Charlie zog sich oft dorthin zurück, um zu arbeiten. Er hatte sich vor einer Weile an die Galerie gewandt, und der Besitzer war vorbeigekommen, um sich die Sammlung anzuschauen, und erklärte sich zur Ausrichtung einer Ausstellung bereit. Charlie würde sich um die Werbung kümmern.
Er war sehr enttäuscht gewesen, als der Galerist die gesamte Organisation irgendeinem Mädchen übergab, das gerade erst bei ihm angefangen hatte. Nur widerwillig überließ er ihr die Mappe, die er mitgebracht hatte, damit sie einen Blick hineinwarf.
Doch anstatt sie lediglich zu überfliegen und dazu die üblichen höflichen Geräusche zu produzieren, saß sich das Mädchen die Photos sorgfältig an, betrachtete jedes einzelne so konzentriert durch seine Brille, dass er sich ein paar Minuten lang fragte, ob sie ihn völlig vergessen habe.
»Diese hier« – sie zog ein halbes Dutzend der späteren Photographien aus der Mappe – »könnten direkt vom frühen Alfred Stieglitz sein.«
Sie hatte recht. Der legendäre New Yorker Photograph und Galerist hatte um die Jahrhundertwende, nach seiner Rückkehr aus Deutschland, einige schöne Arbeiten produziert, die durchaus an Theodor Kellers Sachen erinnerten. »Sind sich die beiden je begegnet?«, fragte sie.
»Ja. Mehrmals. Ich habe Kellers Tagebücher.«
»Das sollten wir erwähnen.« Sie zog eine ältere Aufnahme aus der Mappe: Männer, die die Eisenbahngleise am Hudson entlanggingen. »Großartige Motivwahl«, sagte sie. »Unglaubliche Komposition.«
Sie begannen über Kellers Technik zu sprechen. Sie hörten nicht auf zu reden. Nach einer Stunde sagte er: »Ich habe anschließend in Midtown zu tun. Wollen wir im St. Regis einen Happen essen?«
Er war neugierig, ob sie nächste Woche bei der Vernissage in der Betty Parsons auftauchen würde.
Am Manhattaner Fährhafen nahmen sie ein Taxi. Schon bald fuhren sie den East River Drive hinauf und bogen dann hinüber zur First Avenue. Als sie die 42nd Street passierten, zeigte er nach rechts auf das große neue Gebäude der Vereinten Nationen, das übers Wasser blickte. Ihm gefielen seine klaren, modernen Linien. Gorham starrte es an, doch es war unmöglich zu erkennen, was der Junge dachte.
»Das River House ist nur ein Stückchen weiter«, erklärte Charlie. »Deine Großmutter hat viele Freunde, die dort
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