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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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begleitete sie zum Aufzug, und Rose erwartete sie schon an der Wohnungstür. Bereits über achtzig, ging sie leicht für fünfundsechzig durch. Sie begrüßte die beiden herzlich, und sie begaben sich alle ins Wohnzimmer.
    Es war eine hübsche Wohnung. Nach der in der Stadt üblichen Zählweise verfügte sie über sechs Zimmer: Wohn-, Ess-, zwei Schlafzimmer, Küche und ein davon abgehendes Dienstbotenzimmer. Die drei Bäder wurden nicht mitgerechnet. Durchaus anständig für eine verwitwete Dame, aber nicht ganz das, was für eine Familie wie seine eigentlich angemessen war. Charlie wären acht Zimmer lieber gewesen, um entweder ein zusätzliches Schlafzimmer oder eine Bibliothek sowie ein weiteres Dienstbotenzimmer zu haben. Bei dieser Größenordnung waren die Zimmer in der Regel auch größer. Während ihrer Ehe hatten Charlie und Julie in einer Achtzimmerwohnung gelebt, wenngleich nicht an der Park Avenue.
    Natürlich, wenn er an die Wall Street gegangen wäre, wenn er Geld wie einige seiner Freunde verdient hätte, dann könnte er sich mittlerweile eine dieser großen Wohnungen an Park oder Fifth Avenue leisten. Zehn, fünfzehn Zimmer. Riesig, wie richtige Paläste, mit vier, fünf Dienstbotenzimmern für das Personal.
    Seit seiner Scheidung bewohnte Charlie ein Apartment an 78th und Third. Nicht weit von seiner Mutter entfernt. Die 78th war eine gute Straße, und die Apartments hatten große Wohnzimmer, fast wie Künstlerateliers, insofern war das für einen alleinstehenden Mann eine interessante Lösung. Allerdings gab es im Haus keinen Portier. Und einen Portier sollte man wirklich haben.
    Rose konnte gut mit Kindern umgehen. Sie zeigte dem kleinen Gorham Photos seines Groß- und seines Urgroßvaters. Das machte dem Jungen Spaß. Es gab auch Bilder von dem Haus in Newport. Dinge, die den kleinen Burschen daran erinnern sollten, wohin er eigentlich gehörte.
    Gegen Mittag gingen sie aus dem Haus und fuhren mit dem Taxi zum Plaza Hotel. Im Palm Court wurden sie an einen Tisch geführt. Er sah Gorham an, dass er beeindruckt war.
    »Manchmal gehe ich ins Carlyle«, sagte Rose, »es ist ja nur ein kurzer Spaziergang. Aber ich komme auch gern hierher. Es ist nett, so nah am Park zu sein.«
    Sie stocherte zierlich in einem Salat, während ihr Enkel, nachdem er brav seine Fischfrikadelle gegessen hatte, ein Schokoladen-Eclair in Angriff nahm. Sie redeten über die Schule, die er neuerdings besuchte.
    »Wenn du älter bist«, sagte Rose, »kommst du nach Groton.«
    Diesbezüglich hatte Julie keinerlei Einwände erhoben. Sie waren sich alle einig gewesen. Um genau zu sein, waren sich seine Mutter und seine Exfrau einig gewesen. Er brauchte lediglich die Schulgebühren zu bezahlen. Ihm wäre es eigentlich lieber, wenn Gorham eine Tagesschule in der Stadt besuchen könnte, aber das ließ sich von Staten Island aus schlecht einrichten, und wenn der Junge stattdessen bei ihm oder bei seiner Großmutter – vorausgesetzt, sie lebte dann überhaupt noch – wohnen würde, so wäre das mit gewissen Unbequemlichkeiten verbunden.
    »Warst du in Groton, Papa?«, fragte der kleine Junge.
    »Nein«, sagte Rose, »aber das wäre wahrscheinlich besser gewesen.«
    Es war natürlich eine hervorragende Schule, dieses in Massachusetts gelegene Internat, konzipiert nach dem Vorbild des englischen Cheltenham College. Sein lateinisches Motto sagte schon alles: »Diene Gott und herrsche«, übersetzte Charlie. Machtbewusstes Christentum. Episkopalen Bekenntnisses natürlich. Gute, solide Erziehung, nicht allzu kopflastig. Viel Sport. Kalte Duschen. Wie die Herren des britischen Empire durften die Eigentümer der großen Vermögen Amerikas nicht verweichlichen.
    »Er wird dort die richtige Sorte Leute kennenlernen«, sagte Charlie munter. Roosevelt, Auchincloss, Morgan, Whitney, du Pont, Adams, Harriman, Grew … Leute mit solchen Namen gingen nach Groton.
    »War da nicht auch jemand, der Peabody hieß?«, fragte Gorham.
    »Ja, Gorham.« Charlie lächelte. »Er hat die Schule gegründet und war dort fünfzig Jahre lang Rektor. Gut!«
    »Es heißt nicht ›Peabody‹, mein Schatz«, sagte Rose. »Man spricht es ›Pii-bdy‹ aus.«
    »Ach, Mutter«, sagte Charlie achselzuckend. »In seinem Alter …«
    »Pii-bdy«, sagte seine Mutter bestimmt.
    Charlie fand es amüsant, dass das alte Geld in Amerika bis zu einem gewissen Grad die englische Sitte übernommen hatte, verbale Fallen für die »Nichtdazugehörigen« auszulegen. Die Mitglieder des

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