Im Rausch der Freiheit
wohnen.« Das vielleicht luxuriöseste Apartmenthaus der Stadt. Aber natürlich fehlte dem kleinen Gorham jede Ahnung, was das bedeutete.
Charlie hatte immer angenommen, dass sein Sohn in derselben Welt wie er aufwachsen würde. Bis Julie nach Staten Island zog. Konnte man drüben auf Staten Island den Geist der großen, kühnen Stadt atmen? Vielleicht. Schließlich war es einer der fünf Boroughs. Nur würde sein Sohn das alles wirklich begreifen? Würde er dereinst wissen, was die besten Gebäude an der Upper East Side waren? Würde er alle Restaurants und Clubs kennen? Und die intimen Winkel und Gerüche von Greenwich Village, die grobkörnige Struktur von SoHo? Augenblicke wie dieser machten Charlie bewusst, wie sehr er Manhattan liebte. Und es bereitete ihm einen tiefen Schmerz und ein Gefühl von Verlust, sich vorzustellen, dass es ihm vielleicht nicht vergönnt sein würde, diese Stadt mit seinem Sohn zu teilen.
Sie bogen nach links in die 47th Street. Als sie die Lexington kreuzten, zeigte Charlie nach Süden. »Gleich da runter ist die Grand Central Station«, sagte er. Gorham schwieg. Sie erreichten die Park Avenue und bogen nach Norden ab. »Als ich ein Junge war«, sagte Charlie, »gab es hier überall Rangierbahnhöfe. Die Park Avenue war damals nicht besonders schön. Aber jetzt laufen die Gleise alle unterirdisch, und die Park Avenue sieht ziemlich schick aus, findest du nicht?«
»Ja, Papa«, sagte der kleine Junge.
Da war noch etwas, wurde ihm jetzt bewusst, was er dem Kind vermitteln wollte. Etwas Tiefes und Wichtiges. Etwas, das über die prächtigen Häuser und Wohnungen, das pulsierende Leben auf den Straßen, die Zeitungen, Theater, Galerien, die ungeheure Geschäftigkeit der Stadt hinausging. Was Gorham begreifen musste – was sein Erbteil war und was einzig wirklich zählte –, das war der unbezwingbare Geisc der New Yorker.
Nicht einmal die Depression vermochte die Stadt in die Knie zu zwingen. Drei Giganten hatten sie gerettet. FDR natürlich, der Präsident – und der gute alte niederländische Name Roosevelt war reinstes, pures New York. Es gehörten schon der Mumm und der Wagemut eines New Yorkers dazu, schätzte Charlie, den New Deal durchzusetzen. Zweitens New Yorks knirpsiger, beherzter Bürgermeister La Guardia – streng genommen ein Republikaner, aber trotzdem ein Verfechter des New Deal –, der vom Anfang der dreißiger Jahre bis 1945 die integerste Administration angeführt hatte, die der Stadt je vergönnt gewesen war, und sich während dieser ganzen schweren Zeit für die Armen starkgemacht hatte. Drittens, und auf seine Weise nicht weniger dramatisch, dieser brutale Gigant Robert Moses.
Noch niemand hatte je öffentliche Bauarbeiten von einer solchen Größenordnung erlebt, wie Commissioner Moses sie in Gang setzte. Diese gewaltigen Brücken – die Triborough von Long Island nach Manhattan; die schöne Whitestone von Long Island zur Bronx. Jede Menge öffentliche Parkanlagen. Vor allem die riesigen Schnellstraßen, die den immer dichteren Kraftverkehr durch die Boroughs von New York schleusten. Mit diesen titanischen Projekten holte Moses unzählige Millionen von Bundesdollar in die Stadt und verschaffte Tausenden Arbeit.
Manche sagten Moses und seinen Methoden eine gewisse Grausamkeit nach. Warfen ihm vor, seine Schnellstraßen auf Long Island würden einen Bogen um die herrschaftlichen Anwesen der Reichen machen, aber die Häuser der Armen niederwalzen; unterstellten ihm, dass ihm nur die Interessen der Autofahrer am Herzen lägen und er sich für den öffentlichen Nahverkehr nicht interessierte. Sie behaupteten sogar, die neuen Highways würden Barrieren schaffen, um die schwarzen Wohnviertel regelrecht von den öffentlichen Parks zu trennen.
Charlie war sich da nicht so sicher. Die öffentlichen Verkehrsmittel New Yorks waren, soweit er es einschätzen konnte, ausgezeichnet, und in diesem neuen Zeitalter des Automobils wäre die Stadt ohne die neuen Straßen schier erstickt. Die Kritik wegen der Parks und der Schwarzenviertel mochte fundiert sein, aber die Straßen waren superb angelegt. Wenn Charlie den Henry Hudson Parkway hinauffuhr, der einen jenseits der George Washington Bridge mit wunderbarem Schwung am großen Fluss entlangführte, hätte er Moses fast alles verzeihen können.
Die Frage war nur, dachte er, als sie vor dem Haus seiner Mutter an der Park Avenue hielten, wie er das alles seinem Sohn vermitteln konnte?
Der weiß behandschuhte Portier
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