Im Rausch der Freiheit
stoffbespanntes Brett aufgezogen und mit einfachen Klemmen befestigt worden, sodass man ihn leicht wieder herausnehmen konnte. Das Brett ließ sich in einen langen, flachen, vorn verglasten weißen Kasten schieben, der dann an die Wand gehängt oder dauerhaft montiert werden konnte.
»Hübsches abstraktes Kunstwerk«, sagte Charlie grinsend.
»Ich kann gar nicht glauben, dass du mir den wirklich schenkst, Charlie«, sagte sie. »Bist du dir auch ganz sicher?«
»Ich habe lange darüber nachgedacht, Sarah. Ich weiß, dass du die richtige Empfängerin bist.«
»Ich bin gerührt, Charlie«, sagte sie. »Ich bin wirklich gerührt.«
»In dem Fall«, sagte er vergnügt, »war es wohl das richtige Geschenk.«
*
An diesem Abend begann er sich zu fragen, ob sie nicht ein Ehepaar werden könnten.
Er dachte jeden Tag darüber nach. Natürlich waren die Schwierigkeiten nicht von der Hand zu weisen – und es gab davon jede Menge. Aber andererseits: Waren sie wirklich so gewichtig?
Er war älter, ja. Aber so alt nun auch wieder nicht. Er wusste von anderen Fällen, in denen ein Mann eine viel jüngere Frau geheiratet hatte, und wie es aussah, kamen sie gut miteinander zurecht. Er machte sie glücklich, da war er sich sicher.
Wie würden sie es mit der Religion halten? Ihren Eltern wäre es zweifellos lieber gewesen, wenn Sarah den jüdischen Arzt heiraten würde. Andererseits ließ sich nicht bestreiten, dass eine Heirat mit ihm für sie einen beträchtlichen sozialen Aufstieg bedeutete. Er fragte sich, für was für eine Hochzeit sie sich entscheiden würden. Die schlichte episkopale Zeremonie unterschied sich ohnehin nicht allzu sehr vom jüdischen Ritual.
Und wenn sie erst einmal verheiratet waren, würde sie unter seinem Schutz stehen. Wenn der Portier seiner Mutter es wagen sollte, vor seiner Frau auch nur mit der Wimper zu zucken, konnte er sich umgehend einen anderen Job suchen. Seine Freunde würden sie ohnehin alle mit offenen Armen aufnehmen – und wenn nicht, wären sie die längste Zeit seine Freunde gewesen. Und überhaupt:War die Hautevolee wirklich so ein erstrebenswerter Umgang? Hatte er mit der Bande tatsächlich so viel gemeinsam? Was, wenn er seinen eigenen Weg gehen würde? Er hatte es durchaus schon erlebt, dass Leute mit altem Geld beim ersten Mal standesgemäß heirateten und dann, nachdem die Verbindung gescheitert war, eine ganz und gar unstandesgemäße Ehe eingingen und für den Rest ihres Lebens glücklich wurden.
Der finanzielle Aspekt der Sache wollte auch berücksichtigt sein. Jung, wie sie war, würde Sarah wahrscheinlich Kinder haben wollen. Konnte er sich einen neuen Haushalt leisten, Privatschulen und so weiter und so weiter? Wenn er es ernsthaft versuchte, würde er ganz bestimmt eine Menge mehr verdienen können als jetzt. Mit Sarah verheiratet zu sein würde ihn inspirieren. Die Keller-Ausstellung war äußerst erfolgreich gewesen, und der Buchvertrag konnte ihm durchaus ein hübsches Sümmchen einbringen. Einen Teil davon würde er natürlich Kellers noch lebenden Erben zukommen lassen – das verstand sich von selbst –, doch er war nicht verpflichtet, ihnen einen bestimmten Prozentsatz abzutreten. Wie viel er ihnen gab, blieb ihm überlassen, und er hatte weiß Gott die ganze Arbeit getan.
Außerdem konnte er, wenn er wirklich aus dem Club austrat – um es mal so zu formulieren –, vielleicht sogar noch einen Schritt weitergehen. Der kleine Gorham war mit den Privatschulen, für die er bezahlte, und mit dem Geld seiner Mutter versorgt. Sarah würde für ihre Kinder weniger hohe Erwartungen haben. Was, wenn sie in ein anderes Viertel zogen, etwa nach Greenwich, wo es städtische Schulen gab, die um keinen Deut schlechter waren als die privaten? Es schien ihm machbar. Als er sich all diese Dinge durch den Kopf gehen ließ, hatte Charlie das Gefühl, als werde sein Leben von einem neuen hellen Licht durchflutet. Er verspürte ein Gefühl von Freiheit.
Mit einem Wort: Er war ein Mann mittleren Alters, der sich in eine jüngere Frau verliebt hatte.
*
Es war ein angenehmer warmer Tag, Ende Mai, schon fast Juni. Sie hatten sich gerade eine Sammlung von Radierungen der New York Public Library angeschaut und traten jetzt hinaus auf die breite Vortreppe.
»Das hier ist für unsere Familie gewissermaßen eine historische Gedenkstätte«, sagte Charlie zu Sarah.
»Tatsächlich?«
»Seit der Zeit, als das hier noch ein Wasserreservoir war. Genau hier machte mein Urgroßvater
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