Im Rausch der Freiheit
Charlies Manieren, und er ist absolut charmant.«
»Charmant ist er. Das war er schon immer. Ich werde Ihnen verraten, was das Problem bei unseresgleichen ist, meine Liebe. Wir haben keinen Ehrgeiz.« Sie schwieg kurz. »Nun ja, es gibt gelegentlich ehrgeizige Leute aus unserer Schicht. Denken Sie nur an die zwei Roosevelts. Zwei Präsidenten aus einer Familie – sehr verschiedenen Zweigen der Familie natürlich, aber immerhin …« Sie starrte wieder aus dem Fenster. »Charlie ist nicht so. Er weiß sehr viele Dinge, es ist interessant, sich mit ihm zu unterhalten, er ist rücksichtsvoll, er ist sehr lieb zu mir – doch er hat noch niemals etwas geleistet. Und selbst mit Ihnen an seiner Seite, meine Liebe, wird er es, fürchte ich, niemals tun. Es liegt einfach nicht in seiner Natur.«
»Sie meinen, es gehören jüdische Ellbogen dazu, etwas zustande zu bringen?«
»Jüdisch weiß ich nicht. Ellbogen ganz bestimmt.«
Sie sah Sarah ernsthaft an. »Wenn mein Sohn Sie heiratet, meine Liebe, weiß ich nicht, ob er sich eine zweite Familie wird leisten können. Doch selbst wenn er das nötige Geld auftreiben sollte – er wird lange, lange vor Ihnen altern. Und mit der Zeit, fürchte ich, werden Sie mit ihm unzufrieden sein. Sie verdienen etwas Besseres. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.«
»Ich hatte nicht erwartet, so etwas von Ihnen zu hören.«
»Dann wären Sie aber so klug wie vorher gewesen, oder?«
»Ja«, sagte Sarah, »da haben Sie wohl recht.«
*
Am Freitag fuhr Sarah wie gewohnt heim. Es war schön, wieder mit ihrer Familie zusammen zu sein und von den Alltagserlebnissen ihrer Brüder zu hören.
Das Sabbatmahl verlief friedlich. Beim Morgengottesdienst hörte sie dem Rabbi zu und bemühte sich, an nichts anderes zu denken. Am Nachmittag aber schlug ihr Bruder Michael sie dreimal hintereinander so mühelos im Damespiel, dass er sich selbst wunderte. Anschließend hing sie still ihren Gedanken nach.
Was empfand sie für Charlie? Sie hatte ganz ehrlich nicht damit gerechnet, dass er ihr einen Heiratsantrag machen würde. Sie war überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen. Liebte sie ihn?
Eines war klar: Wann immer er nicht da war, fehlte er ihr. Wenn sie ein Gemälde sah, das ihr gefiel, oder ein Musikstück hörte oder auch nur einen Witz, verspürte sie das Bedürfnis, das mit ihm zu teilen. Neulich kam ein unangenehmer Kunde in die Galerie, und sie ertappte sich dabei, wie sie automatisch dachte: Ich wünschte, Charlie wäre hier, er würde den Typen unausstehlich finden!
Ihre Vorstellungen, wie er sich kleiden sollte, waren ziemlich präzise. Sie hatte ihm einen blauen Schal geschenkt, der ihm sehr gut stand, und er trug ihn auch. Weigerte sich jedoch gleichzeitig, sich von diesem grauenhaften alten Hut zu trennen. Im Prinzip war es ihr eigentlich egal – es war einfach zu einer sportlichen Herausforderung geworden, ihn irgendwann dazu zu bringen, das Ding auszumustern. Ja, der Überzeugungskampf machte ihr regelrecht Spaß. Wenn Charlie widerstandslos nachgegeben hätte, wäre sie enttäuscht gewesen.
Wie würde sie sich also fühlen mit Charlie als Ehemann? Ziemlich gut eigentlich. Und ein Bübchen zu haben, das Charlie in klein wäre, oder ein Töchterchen zum Verwöhnen – etwas Schöneres konnte sie sich gar nicht vorstellen!
Aber wie sah es mit der Religion aus? Würde die Familie Master darauf bestehen, dass sie konvertierte oder zumindest die Kinder christlich erzogen wurden? Dazu konnte sie ihre Einwilligung nicht geben. Andererseits hatte Charlie das Thema überhaupt nicht angesprochen, also konnte es ihm ja wohl kaum allzu wichtig sein. Eigentlich war sie auf heftigste Einwände vonseiten der alten Mrs Master gefasst gewesen, aber falls Rose sich nicht aus taktischen Gründen verstellte, schien es sie wirklich nicht mehr allzu sehr zu stören, dass Sarah Jüdin war. Falls die Christen ebenfalls den Terminus verwendeten, dachte Sarah, schienen die Masters eher säkulare als observante Episkopale zu sein.
Was sie selbst anbelangte, liebte sie zwar die Tradition, in der sie aufgewachsen war, schätzte aber, dass sie ohne sonderlich große Schwierigkeiten als säkulare Jüdin in Manhattan leben und sogar ihre Kinder in diesem Geist erziehen könnte – solange sie die Möglichkeiten hatten, bei ihren Großeltern, Sarah Eltern, ihr religiöses Erbe kennenzulernen. Wenn Charlie sich zu diesem Kompromiss bereit erklärte, dann konnte sie damit klarkommen. Sie wusste, dass es
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