Im Rausch der Freiheit
Graveurs.«
»Mich erinnern? Ich trage ihn ständig bei mir! Er ist mein Talisman, mein Schicksalspfand.« Gorham grinste leicht verlegen. »Ist wahrscheinlich ziemlich kindisch.« Tatsächlich besaß der Dollar sogar eine noch größere Bedeutung. Er erinnerte ihn an die Zeiten, als sie noch eine Familie von Bankiers und Handelsherren waren, an die Zeiten, als sie noch Vermögen hatten – das Vermögen, das sein aus der Art geschlagener Vater nie auch nur versucht hatte zurückzugewinnen.
Doch zu Gorhams nicht geringem Erstaunen sah sein Vater hocherfreut aus.
»Das ist gut, Gorham. Deine Großmutter wäre sehr glücklich – sie wollte dir etwas schenken, das einen Wert für dich besitzen würde. Dann wirst du nach deinem Abschluss also versuchen, bei einer Bank unterzukommen?«
»Ja.«
»Schade, dass mein Vater nicht mehr lebt, er hätte dir helfen können. Ich kenne allerdings auch ein paar Bankiers, die ich fragen könnte.«
»Ist schon okay.«
»Bankiers schätzen Leute wie dich.«
»Das hoffe ich.«
»Machst du dir Sorgen wegen der Einberufung?«
»Nicht jetzt im Augenblick, aber nach dem Abschluss könnte ich gezogen werden. Vielleicht fange ich ein Theologiestudium an oder so was in der Art. Das machen manche, um nicht zur Army zu müssen.«
»Martin Luther King sagt, dass der Krieg unmoralisch sei. Doch ich vermute mal, dass du nicht gedenkst, deswegen auf die Straße zu gehen.«
»Ich werde mich möglichst unauffällig verhalten.«
»Später solltest du Wirtschaftswissenschaften studieren. Einen Master in Betriebswirtschaft machen.«
»Mein Plan sieht vor, zunächst ein paar Jahre zu arbeiten und dann auf die Columbia zu gehen.«
»Und dann heiratest du?«
»Sobald ich Vice President geworden bin. Vielleicht auch schon beim Assistant Vice President. AVP würde genügen, wenn ich die Richtige finde.«
»Eine gute Karrieregattin, meinst du?«
»Vermutlich.«
Charlie nickte. »Deine Mutter wäre eine gute Karrieregattin geworden. Eine hervorragende.« Er schwieg kurz. »Es läuft nicht immer alles so, wie wir es uns zurechtlegen, Gorham.«
»Ich weiß.«
»Wenn ich du wäre, würde ich diese Wohnung behalten. Die monatlichen Kosten sind überschaubar – ich werde dir genug hinterlassen, um sie zu decken. Und in einem guten Haus zu wohnen wird dir eine Menge Probleme ersparen.«
»Ich will nicht darüber nachdenken, Dad.«
»Du brauchst nicht darüber nachzudenken. Es ist einfach so, wie es ist. Diese Wohnung wird für dich weit besser geeignet sein als für mich. Ich hätte runter nach SoHo ziehen sollen.« Er seufzte. »Mein Fehler.«
SoHo: South of Houston Street. Ein ruhiges, noch spärlich bevölkertes Viertel und vielen ehemaligen Lagerhäusern und kopfsteingepflasterten Straßen, in dem Künstler für sehr wenig Geld Ateliers oder Lofts mieten konnten. Ein kurzer Spaziergang in Richtung Norden und man war in Greenwich Village. Gorham konnte sich vorstellen, dass sein Vater sich dort wohlgefühlt hätte. Und er fragte sich gerade, was er darauf erwidern sollte, als Charlie plötzlich sagte: »Weißt du, was ich gern machen würde? Ich möchte das Guggenheim sehen. Fährst du mit mir dorthin?«
Sie nahmen ein Taxi. Charlie wirkte ein bisschen gebrechlich, aber als sie an der Ecke Fifth und 89th ausstiegen, schien er etwas an Kraft gewonnen zu haben.
Frank Lloyd Wrights großes Meisterwerk mochte nicht jedermanns Sache sein, doch Gorham konnte durchaus nachvollziehen, warum es seinem Vater gefiel. Die weißen Wände des Museums und dessen zentrale Rotunde, die wie ein auf den Kopf gestellter spiralförmiger Kegelstumpf aussah, standen in offenem, rebellischem Widerspruch zum größten Teil dessen, was die Stadt an jüngeren öffentlichen Bauten zu bieten hatte. Die riesigen Glastürme, die seit Ende der Fünfzigerjahre einer neben dem anderen entstanden waren, versetzten Charlie Master in Rage. Die städtebaulichen Vorschriften, die Hochhäuser mit senkrecht aufragenden Fassaden verboten und damit die Architekten zu kreativeren, sich elegant verjüngenden Lösungen gezwungen hatten, waren gelockert worden. Riesige Glas-und-Metall-Bauklötze von vierzig und mehr Stockwerken schossen wie quaderförmige Pilze aus dem Boden und versperrten den Blick zum Himmel. Zum Ausgleich waren die Bauherren verpflichtet, auf Straßenniveau allgemein zugängliche offene Plazas einzurichten. Doch in der Praxis wirkten diese öffentlichen Plätze oft kalt und seelenlos und wurden kaum genutzt. Und
Weitere Kostenlose Bücher