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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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dem Schluss, dass er erheblich schlimmer hätte ablaufen können. Es war ihm gelungen, seinen Vater nicht ein einziges Mal zu kritisieren oder die Beherrschung zu verlieren. Ihr Beisammensein war liebevoll und harmonisch verlaufen. Dafür konnte er Gott nur danken.
    Er fragte sich, wie lange sein Vater wohl noch zu leben haben mochte. Hoffentlich doch noch ein paar Monate – mindestens. Er würde ihn künftig häufiger besuchen und ihm seine letzten Tage so angenehm wie nur irgend möglich gestalten.
    Er war vielleicht zehn Minuten gegangen, als er den Typ mit der roten Baseballkappe unter einem Baum stehen sah.
    Es war ein Schwarzer, mehr als sechs Fuß groß, in einem langen schwarzen Mantel und einem schwarzen Schal, den er sich mehrmals um den Hals gewickelt hatte. Seine schmalen Schultern waren gebeugt. Als Gorham näher kam, warf ihm der Mann einen wenig hoffnungsvollen Blick zu. Als er vorüberging, kam trotzdem das automatische »Dope? Gras?«, jedoch ohne jede Überzeugung. Seinerseits ungeübt in derlei Dingen, ging Gorham mit strenger Miene weiter und bemühte sich, ihn zu ignorieren.
    Er war schon ein Stückchen weiter, als ihm die Worte seines Vaters wieder in den Sinn kamen. »Es hilft gegen den Schmerz.« Er hatte irgendwo gelesen, dass Krebskranke Marihuana rauchten. Warum auch nicht? Schließlich nahmen sie ebenfalls andere Drogen, um den Schmerz zu lindern. Vielleicht konnte ihm sein Arzt Dope verschreiben. War das möglich? Gorham hatte keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht, sonst hätte Charlie ja nicht versucht, den Stoff im Park zu kaufen.
    Er warf einen Blick auf die Uhr. War’s nicht allmählich Zeit, zum Bahnhof zu gehen? Eigentlich nicht.
    Wie sah die Rechtslage genau aus? Der Typ mit der roten Baseballkappe konnte ohne Frage dafür festgenommen werden, dass er das Zeug verkaufte. Aber was geschah, wenn man eine kleine Menge kaufte? Wegen schlichten Drogenbesitzes konnte man verhaftet werden, da war er sich sicher. Wie würde es sich auf seine Chancen auswirken, einen Posten in einer Bank zu bekommen, wenn er im Central Park festgenommen wurde? Bestimmt nicht positiv. Er ging weiter.
    Dann würde er Charlie also einfach leiden lassen? Seinen armen Vater, der auf seine eigene, verrückte Art sein Leben lang gut zu ihm gewesen war? Seinen Vater, der – obwohl er nichts mit ihm gemeinsam hatte – ihn mit all der Liebe und Freundlichkeit behandelte wie einen Seelengefährten? Den Vater, der die kurzen Anflüge von Gereiztheit, die er sich nicht einmal in Gesellschaft eines Sterbenden verkneifen konnte, mit Stillschweigen überging?
    Er machte auf der Stelle kehrt. Der Typ mit der roten Baseballkappe stand noch immer da. Gorham schaute sich um. Es sei denn, jemand versteckte sich hinter einem Baum, war dieser Teil des Parks menschenleer. Er ging auf den Dealer zu.
    Der Typ sah ihn fragend an. Er hatte ein mageres Gesicht und ein kleines schütteres Bärtchen.
    »Wie viel?«
    »Ein Achtel?«
    Der Mann nannte einen Preis, aber Gorham verstand nichts. Er schaute sich die ganze Zeit nervös um.
    »Ich nehme eine halbe Unze«, sagte er rasch. Falls der Mann sich wunderte, ließ er es sich nicht anmerken. Er griff in seine Tasche und fing an, kleine Plastiktütchen herauszuholen. Gorham vermutete, dass es eine halbe Unze war, was er bekam, und er wusste, dass das eine ganze Menge war – doch was er da tat, das wusste er selbst nicht. Er nahm die Tütchen und stopfte sie sich in eine Hosentasche unter dem Mantel. Dann wandte er sich zum Gehen.
    »Du hast noch nicht bezahlt, Mann!«, sagte der Typ.
    »Oh. Stimmt.« Gorham holte ein paar Geldscheine heraus. »Ist das genug?« Allmählich geriet er in Panik.
    »Das ist genug«, sagte der Dealer. Wahrscheinlich eher zu viel, aber in dem Moment war das Gorham egal. Er wollte nur weg, ging mit hastigen Schritten den Pfad entlang und schaute nur einmal kurz zurück in der Hoffnung, der Dealer wäre verschwunden. Doch er stand immer noch da. Gorham folgte dem Pfad, bis der in einen anderen einmündete, und bog dann nach Osten ab, wo es einen Ausgang auf die Fifth gab. Gott sei Dank war der Typ mittlerweile nicht mehr zu sehen.
    Er bog gerade auf den Bürgersteig der Fifth ein, als er den Cop sah. Er wusste, was er jetzt tun musste. Nämlich ganz nonchalant aussehen. Schließlich war er ein achtbarer, konservativer junger Mann aus Harvard, der Bankier zu werden beabsichtigte, und kein junger Kerl mit einer halben Unze Gras in der Hosentasche. Aber ohne es

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