Im Rausch der Freiheit
Risiken eingehen.«
»Okay. Das ist nett von Ihnen.«
Sie unterhielten sich noch eine Zeitlang. Er fragte sie, ob er sie bei Gelegenheit anrufen dürfe, und sie sagte Ja und gab ihm ihre Telefonnummer. Dann kündigte er an, dass er sie jetzt nach Hause begleiten werde. Vorher versuchte er noch Juan anzurufen, um einen aktuellen Lagebericht zu erhalten, aber sein Freund nahm nicht ab.
Auf der Park Avenue gab’s keine Taxis, also machten sie sich zu Fuß auf den Weg hinauf zur 86th. Es war überall dunkel und still, doch als sie zum oberen Ende des breiten Boulevards hinaufschauten, konnten sie ein schwaches, flackerndes Leuchten sehen, das vermutlich von Feuern herrührte. Sie gingen wortlos nebeneinander her, erst als sie die 84th erreichten, brach Maggie das Schweigen.
»Haben Sie was auf dem Herzen?«
»Es ist nichts. Eher albern.«
»Lassen Sie mich raten. Sie machen sich Sorgen, weil Juan vorhin nicht abgenommen hat.«
Er wandte sich zu ihr, konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit indes nur erahnen.
»Um ehrlich zu sein, ja. Was absurd ist. Er kennt den Barrio wie seine Hosentasche.«
»Wo wohnt er?«
»Ecke 96th und Lexington. Ist eigentlich sogar ein Haus mit Portier.«
»Sobald Sie mich wohlbehalten an der 86th abgeliefert haben, gehen Sie zu ihm, stimmt’s?«
»Ich spiele tatsächlich mit dem Gedanken.«
»Na dann.« Sie hängte sich bei ihm ein. »Gehen wir doch zusammen hin.«
»Sie können nicht mit!«
»Sie können mich nicht daran hindern.«
Er sah sie erstaunt an. »Sie sind eine ungewöhnliche Frau, Miss O’Donnell.«
»Sie sagen es.«
Als sie die Kreuzung 96th Street erreichten, konnten sie einen großen Teil von Spanish Harlem überblicken. Die Straßen waren menschenleer, aber sie sahen mehrere Feuer. Sie gingen rasch weiter bis zu dem Haus, in dem Juan wohnte. Der Portier hatte die Tür abgeschlossen und schloss erst auf, nachdem er sie beim Licht einer Taschenlampe gemustert hatte. Gorham erklärte sein Anliegen.
»Mr Campos hat das Haus nicht wieder verlassen, Sir, das kann ich Ihnen versichern.« Gorham atmete erleichtert auf. »Haben Sie ihn schon mal hier besucht?«, fragte der Portier. Gorham bejahte. »Tja« – der Portier war offenbar zu dem Ergebnis gelangt, dass Gorham und Maggie wie achtbare Leute aussahen – »einige der Mieter sind hinauf aufs Dach gegangen. Er könnte da oben sein. Die Sprechanlage funktioniert nicht, aber wenn Sie seine Telefonnummer haben, könnte ich ihn anrufen für den Fall, dass er wieder in der Wohnung ist.«
Diesmal nahm Juan ab. Er war verblüfft zu erfahren, dass Gorham an seiner Haustür stand.
»Ich dachte, du machst dir vielleicht einen netten Abend mit dem hübschen Rotschopf.«
»Sie steht neben mir.«
»Wollt ihr raufkommen? Wir sind auf dem Dach, und wir haben Bier. Ihr müsstet allerdings ein Dutzend Stockwerke hochsteigen.«
Gorham richtete Maggie die Einladung aus.
»Angenommen«, sagte sie.
Auf dem Dach waren schon eine ganze Menge Leute. Man hatte eine gute Aussicht über Harlem; im Osten war zudem ein Teil der Skyline von Brooklyn zu sehen, und überall, wohin man sah, loderten Brände.
Feuerwehrsirenen gellten durch die Nacht. Nach einer Weile ertönte von der Lexington her, ein paar Blocks weiter nördlich, das Kreischen von Reifen, dem ein Knall und ein lautes Klirren folgte, als sei jemand mit einem Lieferwagen in ein Schaufenster gekracht.
»Das dürfte der Supermarkt gewesen sein«, sagte Juan gelassen. Dann fügte er, jetzt zu Maggie gewandt, hinzu: »El Barrio. Meine Landsleute.«
Sie tranken Dosenbier und schauten zu, wie sich die Feuer in der heißen, feuchten Nacht ausbreiteten. Einige Zeit später entstand drüben in Brooklyn ein großflächiger Brand. Es verging eine halbe Stunde, aber er breitete sich immer weiter aus.
»Der muss sich über zwanzig Blocks erstrecken«, sagte Gorham.
»Noch mehr, glaube ich«, sagte Juan.
Und so blieben sie bis weit nach Mitternacht auf dem Dach und schauten zu, wie die gigantische, gespaltene Stadt New York ihre inneren Spannungen, ihre Wut und ihre Verzweiflung durch Feuer und Plünderungen und noch mehr Feuer zum Ausdruck brachte.
GEBURT
1987
Gorham Master hetzte kopflos durch die Wohnung. Er wusste, dass eine solche Panik eigentlich nicht angebracht war. Maggies Tasche stand schon seit Wochen im Schlafzimmer fix und fertig gepackt. Warum schnappte er sie sich nicht einfach und rannte los? Maggie war schon auf dem Weg ins Krankenhaus, in einem Taxi, mit Vollgas
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