Im Rausch der Freiheit
Bank zu bleiben und sich den Headhunter aus dem Kopf zu schlagen. Wenn er von einem Job erfuhr, den er ernsthaft in Betracht ziehen konnte, dann würde es immer noch früh genug sein, mit Maggie darüber zu reden.
Aus welchen Gründen auch immer hatte Maggie jedenfalls nichts von der Sache gewusst. Sie wusste daher auch nicht, dass der Headhunter es in bald acht Monaten nicht geschafft hatte, auch nur ein einziges Angebot an Land zu ziehen.
Er wusste, dass der Mann gut in seinem Geschäft war, aber wenn er ihn von Zeit zu Zeit anrief, nur um von sich hören zu lassen, bekam er immer wieder dasselbe zu hören.
»Sie müssen Geduld haben, Gorham. Wir sprechen hier nicht von irgendeinem Posten im mittleren Management. Wir sind auf der Suche nach einer wirklich ernstzunehmenden Chance, nach einer Top-Position und passenden Rahmenbedingungen. Und solche Dinge ergeben sich nun mal nur ab und zu.«
Dieser Argumentation verstand Gorham durchaus. Doch er wurde das Gefühl nicht los, dass nichts geschah, dass keiner ihn haben wollte. Und sein immer dünneres Nervenkostüm hatte sich schon zu unzähligen kleinen Gelegenheiten verraten – meist durch allgemeinen Missmut, aber auch immer wieder durch Ausbrüche von Gereiztheit Maggie oder den Kindern gegenüber.
Als sie sich also am Freitag mit ihm zusammengesetzt hatte, war ihr Vorschlag im falschen Moment gekommen.
»Schatz«, hatte sie gesagt, »ich habe wirklich den Eindruck, dass du unglücklich bist. Und vielleicht liegt’s an unserer Ehe, aber ich glaube, es liegt an deiner Arbeit.«
»Es ist alles bestens«, hatte er geblafft.
»Nein, ist es nicht, Gorham. Sag das nicht. Du bist in keiner guten Verfassung.«
»Na, herzlichen Dank.«
»Ich will dir doch nur helfen, Schatz.«
»Und wie?«
»Ich glaube einfach nicht, dass dir deine Arbeit noch Spaß macht.«
»Und?«
»Mit dem, was du schon angespart hast, deinen Aktien und so weiter, plus dem, was ich inzwischen verdiene, brauchen wir uns wirklich keine Sorgen zu machen. Wenn du willst, könntest du kündigen und etwas machen, was dir wirklich Freude macht. Du bist ein wunderbarer Ehemann und ein toller Vater. Wir könnten ein vollkommenes Familienleben führen, wenn du nur etwas tätest, was dir wirklich Freude macht.«
»Du meinst, ich soll in Rente gehen?«
»Nein, ich meine nur – warum nicht etwas tun, was dir Spaß macht? Das Geld ist doch kein Problem.«
Sie brauchte also nicht einmal mehr sein Einkommen. Er hatte Maggie voller Bewunderung dabei zugeschaut, wie sie ihren Beruf, den Haushalt, die Termine der Kinder, alles regelte. Jetzt hatte sie offenbar vor, auch ihn zu organisieren. Die finale Entwürdigung. Zuerst hatte er versagt. Jetzt sollte er auch noch kastriert werden.
»Du kannst mich mal!«, erwiderte er.
»Das ist keine faire Reaktion.«
»Es ist die einzige, die du bekommst. Du kümmerst dich um dein Leben, ich kümmere mich um meines.«
»Wir haben beide am Leben des anderen teil, Gorham.«
»An manchen Dingen ja, an manchen Dingen nein. Find dich damit ab!«
An dem Abend hatten sie kein Wort mehr gewechselt.
*
Nach Gorhams Erfahrungen sagte auf jeder Dinnerparty früher oder später einer der Gäste etwas, das einem im Gedächtnis haften blieb. Diesmal war es Maeve O’Sullivan.
Gorham bewunderte Maeve. Tagsüber verwaltete sie Geld, und das tat sie mustergültig, aber es reichte offenbar nicht, um ihren Geist zu befriedigen. Sie beherrschte vier Sprachen fließend und spielte ausgezeichnet Klavier. Und sie las. Verschlang geradezu Bücher.
Sie unterhielten sich gerade über die langen Arbeitszeiten der jungen Leute im Financial District.
»Neulich«, sagte Maeve, »las ich was von Virginia Woolf, und sie erklärte, sie habe während einer bestimmten Periode ihres Lebens so viel geschafft, weil sie jeden Tag drei Stunden ununterbrochen arbeiten konnte. Und da dachte ich: Wovon in aller Welt redet sie da? Nur drei Stunden am Tag? Und dann habe ich mich im Büro umgesehen und all die Leute angeschaut, die da ihren Vierzehn-Stunden-Tag abarbeiten, und ich habe mich gefragt: Wie viele von euch verbringen tatsächlich drei Stunden am Tag mit echt kreativer, intellektueller Tätigkeit? Und ich schätzte, wahrscheinlich kein Einziger.« Sie lächelte.
»Und auf der anderen Seite haben wir Virginia Woolf, die mit einem Drei-Stunden-Tag mehr schafft, als die in ihrem ganzen Leben zustande bringen werden. Das macht einen schon nachdenklich. Vielleicht würden sie mehr leisten,
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