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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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nicht so schlimm für Anwälte zugegeben, wenngleich das Vermögen der Familie im Laufe der letzten achtzehn Monate beträchtlich abgenommen hatte. Aber für viele Leute war es wirklich hart.
    Wenn man es allerdings recht bedachte, spielte sich dieser Kreislauf von Boom und Rezession, Aufschwung und Abschwung an den zwei größten Finanzzentren, New York und London, schon seit Jahrhunderten ab. Manche Konjunkturtiefs waren schlimmer als andere – die gegenwärtige Depression war mehr als schlimm. Und trotz allem bewahrte sich dieser Boulevard seine Schönheit.
    Nach wie vor kamen arme Einwanderer in die Stadt und fanden die Freiheit, die sie suchten, und ihr Auskommen.
    Und seien wir doch mal ehrlich – wenn man an die Unruhen, die Brutalität, ja die Vorurteile vergangener Generationen zurückdachte, war New York trotz all seiner Mängel ein weit freundlicherer Ort, als es das im Laufe seiner Geschichte zuvor je gewesen war.
    The Big Apple. Die Leute glaubten, der Spitzname sei in den Sechzigerjahren entstanden. Tatsächlich stammte er aus den späten Zwanzigern und frühen Dreißigern, aber was machte das schon aus? Und was bedeutete er eigentlich genau? Etwas, wovon man sich ein großes Stück abbeißen konnte, vermutete er. Manche sagten, der Name spiele auf den Apfel an, der Adam in Versuchung führte. Auch das stimmte zweifellos – New York war von jeher materialistisch gewesen. Doch zugleich die Stadt der Kunst, der Musik, der unbegrenzten Möglichkeiten.
    Er kam an einem eleganten Geschäft vorbei und sah zu seiner Überraschung, dass zur Schaufensterdekoration ein Theodor-Keller-Druck verwendet worden war. Es sah umwerfend aus. Das freute ihn wirklich.
    Und dann musste er an Katie denken. Katie Keller, die ebenfalls erfolgreich war.
    Zusätzlich zu ihrem Partyservice hatte sie mittlerweile ein eigenes Restaurant im Norden von Westchester County eröffnet. Er und Maggie gingen an Sommerwochenenden häufig dort essen.
    Der Augenblick der Panik, den er an jenem schrecklichen Tag erlebte, als die Türme einstürzten, war ihm noch völlig gegenwärtig. Katie befand sich zu dem Zeitpunkt glücklicherweise im Financial Center, auf der anderen Straßenseite, doch es waren Stunden vergangen, ehe sie es endlich schafften, sie telefonisch zu erreichen.
    Ein einziger Mensch, den er persönlich gekannt hatte, war an diesem schrecklichen Tag gestorben. Die alte Sarah Adler. Wäre sie nicht gewesen, hätte er sich an dem Morgen mit dem Headhunter im World Trade Center getroffen. Ob er eingeschlossen worden und ums Leben gekommen wäre, ließ sich im Nachhinein unmöglich sagen. Aber gleichgültig, ob sie ihm im wörtlichen Sinne das Leben gerettet hatte – im übertragenen Sinn war es zweifellos so.
    Sarah Adler verschwand einfach. Wie bei über tausend anderen war keine Spur von ihrem Körper zurückgeblieben, die man hätte identifizieren können. Ein absoluter und endgültiger Verlust.
    Absolut vielleicht nicht. Die Erinnerung blieb. Jedes Mal, wenn er auf die leere Stelle am Himmel schaute, wo einst die Türme gewesen waren, dachte er mit Dankbarkeit und Zuneigung an Sarah. Und Tausende anderer Opfer lebten auf ähnliche Weise in der Erinnerung fort.
    Und er war froh darüber, dass an der ehemaligen Stätte der zwei verschwundenen Wolkenkratzer ein neuer Turm entstand – der Freedom Tower –, denn das schien ihm der Inbegriff all dessen zu sein, wofür New York stand. Wie schlimm es auch kommen mochte – die New Yorker gaben niemals auf.
    Er ging weiter. Er kam am Waldorf-Astoria vorbei und an der Enklave von Bürogebäuden, die die schöne, romanisch-byzantinisch anmutende St. Bartholomew’s Church umgaben. Da die Lunchzeit nahte, begann im Eingang eines der Bankgebäude eine Jazzband zu spielen. Immer mehr Passanten blieben stehen oder setzten sich, um sich die Musik anzuhören.
    Wie herrlich war es in der Sonne! Selbst hier in New York konnte die Zeit manchmal stillstehen.
    Und plötzlich kam ihm ein Gedanke. Dieser Strawberry-Fields-Garten, in dem er gerade gewesen war, und der Freedom Tower, an den er gedacht hatte: Enthielten sie nicht, zusammengenommen, die zwei Wörter, die alles über diese Stadt aussagten, die zwei Wörter, die am meisten zählten? Ihm schien, ja. Zwei Wörter: das eine eine Aufforderung, das andere ein Ideal, ein Abenteuer, eine Notwendigkeit. Imagine, sagte der Garten, »stell dir vor.« Freedom, sagte der Turm. Stell dir die Freiheit vor. Das war der Geist, die Botschaft dieser

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