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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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…«
    »Maggie …«
    Nichts. Totenstille. Der obere Teil des gigantischen Turms fing an, nach unten zu sacken. Er hatte noch nie etwas Derartiges gesehen – außer in Filmen oder alten Wochenschauen. Die kontrollierte Sprengung von Hochhäusern. Es war verblüffend, wie die einfach so in sich zusammenfallen konnten, fast wie eine Ziehharmonika. Und genau das passierte jetzt gerade. Der Südturm stürzte in sich zusammen.
    Ganz, ganz langsam. Er konnte gar nicht glauben, wie langsam. Sekunde um Sekunde, wie in Zeitlupe, ging der Turm nach unten. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden, vier … Mit majestätischem, gezügeltem, gemäßigtem Tempo senkte sich der oberste Teil des Turms, während unten, von einem langsamen Grollen wie von einem donnernden Wasserfall begleitet, eine riesige, schmutziggraue Staubwolke auseinanderwallte.
    »Maggie!« Nichts.
    Jetzt zitterte die Erde. Er spürte das Beben unter den Füßen. Die wogende Flutwelle aus Staub wälzte sich die Straße herauf wie ein Lavastrom, kam ihm entgegen. Er musste weg, musste fliehen. Er hatte keine andere Wahl. Er zog sich in die Chambers Street zurück und hoffte, die Staubwelle würde nicht über die Dächer schwappen und ihn ersticken. Aber das Donnern hörte nicht auf, zog sich neun nicht enden wollende Sekunden hin, während der Turm in sich zusammenbrach und die Staubwolke ein Eigenleben anzunehmen schien und wuchs und strudelte und wieder wuchs, bis auf allen umliegenden Straßen jegliches Licht ausgelöscht war.
    Er hörte Menschen, viele Menschen, nach Luft ringend in Richtung Norden rennen. Nach einer Weile knöpfte er sich das Hemd oben auf, zog es sich wie eine Atemschutzmaske vor den Mund und versuchte sich wieder nach Süden, in den Staubsturm hinein, vorzukämpfen. Aber es hatte überhaupt keinen Sinn. Er bekam keine Luft, und er konnte nichts sehen. Schließlich zog er sich wie alle anderen auf der Straße zurück, bis die Luft etwas klarer wurde. Dann setzte er sich auf den Bürgersteig und musterte die grau bestäubten Gestalten, die wie Schatten aus dem Hades an ihm vorüberzogen, in der kaum realistischen Hoffnung, eine von ihnen könnte vielleicht seine Frau sein.
    Und dann, nach zehn Minuten, kam sie tatsächlich auf ihn zu.
    »Ich hatte gehofft, dich hier zu finden«, sagte sie.
    »Ich dachte …«
    »Ich war gerade im Freien, als das Gebäude angefangen hat einzustürzen. Dadurch ist wahrscheinlich die Funkverbindung abgerissen. Viele von uns sind in ein Café gerannt, um dem Staub zu entgehen. Doch sobald ich konnte, bin ich hergekommen. Du siehst furchtbar aus.«
    »Und du siehst wunderschön aus.« Er nahm sie in die Arme.
    »Vielleicht ein bisschen angestaubt.«
    »Du bist am Leben!«
    »Ich glaube, die meisten haben es rausgeschafft. Was die Leute weiter oben angeht, oberhalb des Brandes, bin ich mir allerdings nicht so sicher.«
    »O mein Gott!«
    »Was ist?«
    »Katie Keller. Sie hat mir gesagt, sie hätte heute Morgen eine Besprechung irgendwo im Financial District. Hast du ihre Handynummer?«
    »Ich glaube schon.«
    »Dann versuch sie zu erreichen.«
    Niemand nahm ab.
    *
    Als das Flugzeug einschlug, befand Sarah Adler sich im obersten Geschoss des Turms. Vorher hatte der Wampum-Gürtel, der sich an ihrer Taille hin und her bewegte, sehr schön ausgesehen. Seine kleinen weißen und dunklen Muschelperlen leuchteten noch so klar wie an dem Tag, als sie aufgefädelt worden waren. Für den, der seine mit so viel Liebe eingewobene Botschaft zu lesen verstand, verkündete der Gürtel: »Vater von Bleiche Feder.«
    Doch als die große Feuersbrunst höher und höher stieg und der riesige Turm wankte und dann einstürzte, war die Hitze so gewaltig und der Druck so unvorstellbar hoch, dass der Wampum-Gürtel wie alles um ihn herum zu einem puderfeinen, kaum noch sichtbaren Pulver zermahlen wurde. Eine kurze Zeit schwebte dieser Staub noch um die Stelle, wo der verschwundene Turm gestanden hatte. Bis ihn der Wind, freundlicher als der Mensch, in einer Wolke emporhob – hoch, hoch über das Wasser der Bucht und die Stadt und den gewaltigen Strom, der nach Norden führte.

EPILOG
    Sommer 2009
    Sie saßen im Café. Es war ein schöner Tag. Gorham sah hinüber zur Metropolitan Opera und lächelte seiner Tochter zu. Er sah ihr an, dass sie einen Anschlag auf ihn vorhatte, aber er überließ ihr den ersten Zug.
    Sie schaute ernst drein.
    »Dad.«
    »Ja, mein Liebling?«
    »Ich glaube, ich habe ADS.«
    »Wirklich? Das ist

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