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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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darunter hatte dem Advokaten zu denken gegeben. Viel zu bunt. Seine Perücke fand er zu extravagant, seine Halsbinde zu locker geknüpft. Deuteten diese Details auf einen Charakter hin, dem es an sittlichem Ernst mangelte? Sein Verwandter hatte ihn zwar herzlich eingeladen, während der Dauer des Prozesses in seinem Haus zu wohnen, doch Eliot Master hatte es vorgezogen, die Gastfreundschaft eines ihm bekannten, zuverlässigen Anwalts in Anspruch zu nehmen; und angesichts der Seidenweste seines Cousins hatte er sich zu seiner weisen Entscheidung beglückwünscht.
    Man wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass sie verwandt waren. Dirk war groß und stark, blond, mit vorstehenden Zähnen und strahlte eine leutselige Selbstsicherheit aus. Eliot war von mittlerer Größe, braunhaarig und hatte ein breites, ernstes Gesicht.
    In Boston lebte die Familie Master auf der Purchase Street. Eliot war Diakon in der Old South Congregation Church und einer der jährlich gewählten Stadtvorsteher, zudem mit dem Geschäftsleben durchaus vertraut. Wie hätte es auch anders sein können inmitten der Werften und Mühlen von Boston? Sein Schwager besaß eine Brauerei – glücklicherweise ein gutes, solides Unternehmen, aber als Absolvent der Bostoner Lateinschule und der Harvard University legte Eliot in allererster Linie auf Bildung und Sittlichkeit Wert.
    Er bezweifelte, dass sein New Yorker Cousin in dieser Hinsicht etwas zu bieten hatte.
    So vorsichtig er auch war, zögerte Eliot Master dennoch nicht, für Prinzipien einzustehen. Was etwa die Sklaverei anbelangte, war er eisern. »Sklaverei ist unrecht«, predigte er seinen Kindern. Die Tatsache, dass selbst in Boston einer von zehn Menschen ein Sklave war, änderte für ihn nichts an dieser Feststellung. In seinem Haus gab es keinen einzigen Sklaven. Anders als viele gestrenge Bostoner der Vergangenheit war er hingegen duldsam in Fragen der Religion – solange es sich um eine protestantische Konfession handelte. Aber vor allen Dingen war er, wie schon seine puritanischen Vorfahren, wachsam gegen jeden Versuch des Königs, sich zum Despoten aufzuschwingen. Und genau aus diesem Grund weilte er derzeit in New York, denn er wollte hier unbedingt dem Prozess beiwohnen.
    *
    Es war nur recht und billig gewesen, dass sein Cousin ihn und seine Tochter an dem Tag zum Essen eingeladen hatte. Überdies fand er es nützlich, dass Dirk ihn jetzt, während Kate sich ausruhte, in New York herumführte. Der Kaufmann kannte sich zweifellos gut aus; und er war offensichtlich stolz auf seine Stadt. Nachdem sie den Broadway hinaufgegangen waren und die Trinity Church bewundert hatten, schlugen sie die Straße nach Norden ein, die dem einstigen Indianerpfad folgte, und näherten sich jetzt dem alten Teich.
    »Nach Osten hin war das Land bis noch vor ein paar Jahren ein einziger Sumpf«, erklärte ihm der Kaufmann. »Aber mein Freund Roosevelt hat es gekauft, und schauen Sie es sich jetzt an!« Das Gebiet war trockengelegt und mit schönen Straßen bebaut worden.
    Eine solche Entwicklung sei eindrucksvoll, bemerkte der Advokat, wenn man bedachte, dass die New Yorker Wirtschaft nach seinen Informationen in letzter Zeit ziemlich gelitten hatte.
    »Der Handel läuft zurzeit nicht gut«, räumte der Kaufmann ein. »Die westindischen Zuckerrohrpflanzer waren zu gierig und haben überproduziert. Viele haben Bankrott gemacht, sodass unser eigener Handel, der in hohem Maße von ihnen abhängig ist, einen schweren Rückschlag erlitten hat. Außerdem liefern diese verflixten Burschen in Philadelphia Mehl zu niedrigeren Preisen, als es uns möglich ist.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht gut.«
    Da New York Boston ein halbes Jahrhundert lang den Handel verdorben hatte, konnte sich der Bostoner angesichts der gegenwärtigen misslichen Lage New Yorks ein Lächeln nicht ganz verkneifen.
    »Aber Ihre eigenen Geschäfte gehen weiterhin gut?«, fragte er.
    »Ich bin sozusagen Gemischtwarenhändler«, sagte sein Cousin. »Der Sklavenhandel läuft weiterhin gut.«
    Eliot Master blieb stumm.
    Auf dem Rückweg kamen sie durch die Mill Street, und Dirk Master zeigte auf ein Gebäude.
    »Das ist die Synagoge«, sagte er leichthin. »Kein übles Bauwerk. Die haben hier zwei verschiedene Gemeinden: die Sephardim, die aus Brasilien hergekommen sind – durchaus gentlemanlike; und die Aschkenasim, Deutsche – keine Gentlemen, aber dafür zahlreicher. Und so wählen die immer einen Aschkenasi als Gemeindevorsteher, doch die

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