Im Rausch der Freiheit
waren die charmanten holländischen Giebelhäuser von Neu-Amsterdam noch immer zu sehen; aber die neueren Häuser waren bereits im schlichten georgianischen Stil der Engländer erbaut. Und das alte niederländische Rathaus hatte seine Funktion an ein klassizistisches Gebäude abgetreten, das von der Wall Street aus selbstgefällig die Broad Street hinunterblickte. An den Marktständen konnte man wohl noch niederländische Laute hören, nicht aber in den Kaufmannshäusern.
Mit der englischen Sprache gingen englische Grundrechte einher. Die Stadt besaß eine königliche Charta, eine Gründungsurkunde mit dem persönlichen Siegel des Königs darauf. Gewiss, ein früherer Gouverneur hatte von der Bürgerschaft Geld dafür verlangt, dass er sich um diese königliche Urkunde bemühte, aber mit derlei Dingen war immer zu rechnen. Und sobald eine solche Charta ausgestellt und besiegelt worden war, konnten sich die freien Männer der Stadt bis zum jüngsten Tag auf sie berufen. Sie wählten ihre eigenen Stadträte; sie waren frei geborene Engländer.
Manche Bewohner New Yorks hätten vielleicht gesagt, dass diese englische Freiheit stellenweise zu wünschen übrig ließ. Die Sklaven etwa, die auf dem Markt am Ende der Wall Street in immer größerer Zahl zum Kauf angeboten wurden, hätten diese Ansicht vertreten können; aber sie waren Neger und damit – darin waren sich die New Yorker mittlerweile einig – ein minderwertiger Menschenschlag. Die Frauen von New York – diejenigen unter ihnen, die sich noch an die alten niederländischen Gesetze erinnerten, die ihnen die gleichen Rechte eingeräumt hatten wie ihren Mannsleuten – hätten ebenfalls den benachteiligten Status beklagen können, den ihnen die englische Gesetzgebung bescherte. Aber jeder anständige Engländer wusste, dass derlei Klagen vonseiten des schwachen Geschlechts unziemlich gewesen wären.
Nein: Was zählte, war die Tatsache, der Tyrannei von Königen entronnen zu sein. Da waren sich Puritaner und Hugenotten einig. Kein Ludwig von Frankreich; kein katholischer Jakob. Die Glorreiche Revolution von 1688 hatte festgeschrieben, dass das protestantische britische Parlament von nun an dem König auf die Finger schauen würde. Und was das englische Common Law anbelangte, das Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren und auf Abgeordnetenversammlungen, die überhöhte Steuern ablehnen konnten – nun, manche dieser altehrwürdigen Rechte gingen auf die fünfhundert Jahre alte Magna Charta und noch früher zurück. Mit einem Wort: Die Männer von New York waren ebenso frei wie die braven Burschen, die drüben in England kein Jahrhundert zuvor ihren König, als er versuchte, den Absolutismus einzuführen, um einen Kopf kürzer gemacht hatten.
Dies war der Grund, weshalb die morgige Gerichtsverhandlung so wichtig war.
*
Die zwei Männer gingen zusammen die Straße entlang. Dem Herrn im fest zugeknöpften braunen Rock schien nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein. Es mochte an der Hitze liegen. Oder vielleicht bereitete ihm etwas anderes Unbehagen.
Mr Eliot Master aus Boston war ein treu sorgender Familienvater, dem das Wohl seiner Kinder am Herzen lag. Er war außerdem ein vorsichtiger Advokat. Gewiss, er lächelte, wenn es angebracht war; und lachte, wenn erforderlich – obgleich nicht zu laut und nie zu lang. Nun aber quälte ihn die Furcht, er könnte einen verhängnisvollen Fehler begangen haben.
Er hatte seinen New Yorker Cousin gerade erst persönlich kennengelernt und trotzdem bereits Vorbehalte gegen Dirk Master. Dass ihre Großväter – Eliot, nach dem er selbst benannt war, und Dirks Altervater Tom – getrennte Wege gegangen waren, wusste er schon lange. Die Bostoner Masters hatten nie etwas mit den New Yorker Masters zu tun gehabt. Aber da er New York besuchen würde, hatte sich Eliot gefragt, ob nicht inzwischen vielleicht so viel Zeit vergangen war, dass es möglich sein sollte, neue Beziehungen zu knüpfen. Bevor er seinem Verwandten schrieb, hatte er allerdings Erkundigungen über ihn eingezogen und in Erfahrung gebracht, dass der Kaufmann vermögend war. Dies bedeutete eine Erleichterung, denn es wäre für Eliot eine Enttäuschung gewesen, einen Verwandten zu haben, der nicht über nennenswerte Mittel verfügte. Doch was seinen Charakter anbelangte – nun, das würde sich erst zeigen.
Da es ein heißer Tag war, trug Dirk Master den leichten, schlichten Rock, der als Banyan bezeichnet wurde: durchaus respektabel. Doch die Seidenweste
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