Im Rausch der Freiheit
Gottesdienste werden auf Sephardisch abgehalten. Gott weiß, ob die Deutschen auch nur ein Wort davon verstehen. Irgendwie komisch, nicht?«
»Ich bin nicht der Ansicht, dass eines Mannes Religion etwas zum Lachen ist.«
»Nein. Natürlich nicht. So war das nicht gemeint.«
Vielleicht nicht. Aber der Bostoner meinte, in der ganzen Art des Kaufmanns einen Anflug von moralischer Laxheit zu spüren – der ihm bestätigte, dass er mit seinen Vorbehalten bezüglich dieser Seidenweste recht gehabt hatte.
Sie wollten sich gerade trennen, als Dirk Master plötzlich stehen blieb und den Finger ausstreckte.
»Da ist er!«, rief er aus. Und als er Eliots ratlosen Blick sah, lächelte er. »Dieser junge Teufel da«, erklärte er, »ist mein Sohn.«
Der Anwalt riss entsetzt die Augen auf.
Eliot Master hätte niemals zugegeben, eines seiner Kinder zu bevorzugen, obwohl tatsächlich von den fünfen seine Tochter Kate seinem Herzen am nächsten stand. Sie war die Gescheiteste – wenngleich er es schade fand, dass so viel Intelligenz an ein Mädchen vergeudet wurde. Es gefiel ihm, wenn seine Frauen lasen und ihren Kopf gebrauchten, aber nur in Maßen. Außerdem hatte sie ein weiches Herz. Schon im Alter von fünf war sie vom Anblick der Armen in Boston erschüttert gewesen. Schön und gut. Doch es hatte anschließend drei Jahre geduldigen Erklärens erfordert, ihr den Unterschied zwischen bedürftigen und verkommenen Armen begreiflich zu machen.
Deswegen war es ihm ein besonderes Anliegen, den richtigen Ehemann für Kate zu finden. Einen Mann, der zugleich intelligent, gütig und bestimmend wäre. Eine Zeitlang hatte er den Sohn seines achtbaren Nachbarn, den jungen Samuel Adams, in Erwägung gezogen, obwohl er ein paar Jahre jünger als Kate war. Bis er erkannte, dass der Junge einen Eigensinn und einen Mangel an Fleiß aufwies, der ihn als Heiratskandidaten für seine Tochter ausscheiden ließ. Da Kate mittlerweile achtzehn war, achtete ihr Vater umso strenger darauf, dass sie sich nirgendwo aufhielt, wo sich unziemliche Neigungen in ihr entwickeln konnten.
Insofern hatte er natürlich gezögert, sie nach New York mitzunehmen, wo der Umgang mit diesen Cousins, von denen er nur wenig wusste, das Risiko möglicherweise erhöhte.
Aber sie hatte ihn angefleht, mitkommen zu dürfen. Sie wollte der Gerichtsverhandlung beiwohnen, und sie verstand von juristischen Dingen mit Sicherheit mehr als seine übrigen Kinder. Sie würde die ganze Zeit in seiner Obhut sein, und er musste zugeben, dass er immer froh über ihre Gesellschaft war. Also hatte er eingewilligt.
Vor sich, keine fünfzig Schritt entfernt, sah er jetzt einen hochgewachsenen blonden Jüngling, der gerade in Begleitung dreier einfacher Matrosen aus einer Schenke herauskam. Er sah, wie einer der Matrosen lachte und dem jungen Mann auf die Schulter klopfte. Weit davon entfernt, ihm das übel zu nehmen, machte der junge Mann, der ein nicht eben besonders sauberes Hemd trug, eine scherzhafte Bemerkung und lachte seinerseits. Dabei drehte er sich halb herum, sodass der Anwalt sein Gesicht deutlich sehen konnte. Er war schön. Sogar mehr als schön.
Er sah aus wie ein junger griechischer Gott.
»Ihre Tochter dürfte mehr oder weniger sein Alter haben«, sagte der Kaufmann munter. »Ich gehe davon aus, dass sie sich gut verstehen werden. Wir erwarten Sie dann zum Mittagessen um drei.«
*
Kate Master betrachtete sich im Spiegel. Einige der Mädchen, die sie kannte, bekamen kleine Schneiderpuppen mit der neusten Mode aus Paris oder London geschenkt. Ihr Vater hätte derlei Eitelkeiten in seinem Haus nie geduldet. Aber wenn sie sich auch schlichter kleidete, war sie dennoch mit dem Resultat zufrieden. Sie hatte eine gute Figur. Ihre Brüste waren hübsch – obwohl sie natürlich niemand zu sehen bekommen würde, da ein Spitzenstreifen sie bis auf den Ansatz bedeckte. Mieder und Rock waren aus rostroter Seide gearbeitet, darunter trug sie eine cremefarbene Chemise. Ihr braunes Haar war schlicht und natürlich frisiert; ihre Schuhe hatten Absätze, aber nicht zu hohe, und waren vorn abgerundet, da ihr Vater die spitzen Schuhe, welche gerade in Mode waren, missbilligte. Kate besaß einen frischen Teint; und sie hatte sich so dezent gepudert, dass ihr Vater, so hoffte sie zumindest, nichts davon merken würde.
Sie wollte für diese New Yorker Cousins gut aussehen.
*
Als sie das Haus im eleganten South Ward, unweit des alten Forts, erreichten, waren Kate und ihr Vater
Weitere Kostenlose Bücher