Im Rausch der Freiheit
ist.«
»In dieser Stadt ist keiner, der diesen königlichen Gouverneur nicht selbst gern beleidigen würde«, bemerkte sein Gastgeber, »aber weil es der arme Zenger war, der die Zeitung gedruckt hat, muss er als Sündenbock herhalten. Unsere Leute sind entschlossen, ihm eine gute Verteidigung zu verschaffen. Und die neuen Geschworenen sind sehr anständige Burschen. Ich glaube, sieben von ihnen sind sogar Niederländer, also keine Freunde des Gouverneurs. Hat der Bursche eine Chance?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Eliot. »Wenn sich beweisen lässt, dass Zenger tatsächlich die ehrverletzenden Artikel gedruckt hat, schreibt das Gesetz vor, dass die Geschworenen ihn schuldig sprechen müssen.«
»Dass er die Sachen gedruckt hat, steht wohl außer Zweifel«, sagte der Kaufmann. »Und er hat seiner Frau immer wieder neue Artikel unter der Tür seiner Zelle hindurch zugeschoben, sodass sein Journal auch während seiner Haft weiter erscheinen konnte. Aber was ist mit der Tatsache, dass jedes Wort, das er über Gouverneur Cosby gedruckt hat, der Wahrheit entspricht? Zählt das denn gar nicht?«
»Unser englisches Gesetz über die Strafverfolgung von Ehrverletzungen sieht kein Einspruchsrecht vor«, antwortete der Anwalt. »Und wenn die fragliche Behauptung den Stellvertreter der Krone beleidigt, dann erfüllt sie den Tatbestand der aufwieglerischen Ehrverletzung. Ob wahr oder falsch, spielt dabei keine Rolle.«
»Das ist ungeheuerlich«, sagte der Kaufmann.
»Vielleicht.« Der Anwalt nickte. »Meine gegenwärtige Sorge ist, dass das Gesetz missbraucht wird. Und deswegen liegt mir so viel daran, der Verhandlung beizuwohnen.«
»Es muss Ihnen wirklich wichtig sein«, bemerkte sein Cousin, »wenn Sie deswegen den langen Weg von Boston hierher auf sich nehmen.«
»Um offen zu sein«, fuhr der Anwalt fort, »halte ich diese Angelegenheit für keine Kleinigkeit. Der Zenger-Prozess rührt meines Erachtens direkt an die Wurzel unserer englischen Grundrechte.« Er schwieg einen Moment lang. »Vor einem Jahrhundert verließen unsere Vorfahren England, weil König Karl I. dabei war, eine absolute Monarchie zu errichten. Als Mitglieder des Parlaments sein Recht dazu anfochten, versuchte er sie verhaften zu lassen; als aufrechte Puritaner seine Sünden in Druckform anprangerten, ließ er ihnen die Ohren abschneiden, sie brandmarken und sie in den Kerker werfen – und zwar, wie wir festhalten sollten, unter genau dieser Anklage: aufwieglerische Ehrverletzung. Vor fünfundachtzig Jahren endete die Tyrannei König Karls, als das Parlament ihn köpfen ließ. Aber damit endete nicht zugleich jede Möglichkeit künftigen Machtmissbrauchs. Und jetzt machen sich in der kleinen Tyrannei dieses Gouverneurs dieselben Bestrebungen bemerkbar. Dieser Prozess, glaube ich, wurde uns allen als Prüfstein geschickt, welchen Wert wir der Freiheit beimessen.« Während dieser Rede war seine Stimme deutlich lauter geworden.
»Nun, Herr Cousin«, sagte der Kaufmann mit neu erwachtem Respekt, »wie ich sehe, sind Sie ein beachtlicher Redner.«
Es kam nicht oft vor, dass Kate ihren vorsichtigen Vater mit solcher Leidenschaft sprechen hörte, und das erfüllte sie mit Stolz. In der Hoffnung auf seine Billigung schloss sie sich nun der Unterhaltung an.
»Wenn Locke vom Naturrecht spricht, und insbesondere von den Naturrechten Leben und Freiheit, würde darunter nicht auch die Freiheit fallen, seine Meinung zu äußern?«
»Ich meine schon«, sagte ihr Vater.
»Locke?«, fragte Mrs Master mit ratloser Miene.
»Ah, Locke«, sagte der Gastgeber. »Ein Philosoph«, erklärte er seiner Frau, während er versuchte, sich an Näheres über den Denker zu erinnern, dessen Lehren, wie er wusste, gegenwärtig freiheitsliebende Männer auf beiden Seiten des Atlantiks begeisterten.
»Sie lesen Philosophie?«, fragte Mrs Master Kate nicht wenig verblüfft.
»Nur die berühmten Sachen«, sagte Kate vergnügt, mit einem Lächeln in Richtung des Jungen, der, wie sie annahm, ebenso belesen war. Doch der junge John Master starrte nur auf den Tisch und schüttelte den Kopf.
Plötzlich keimte in Kate der Verdacht, dass der griechische Gott an ihrer Seite schüchtern sein könnte, was ihn noch interessanter erscheinen ließ. Sie überlegte, was sie sagen könnte, um ihm Mut zu machen. Im literarisch interessierten Bostoner Haus ihres Vaters aufgewachsen, hatte sie immer noch nicht begriffen, dass sie sich hier auf völlig fremdem Terrain befand.
»Letzten
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