Im Rausch der Freiheit
töten.‹«
Zitate dieser Art waren bei ihnen zu Haus in Boston wohl an der Tagesordnung.
»›Wer ein gutes Buch vernichtet, tötet die Vernunft selbst‹«, ergänzte Kate sofort.
Ihr Gastgeber sah sie beide an und schüttelte den Kopf.
»Es kommt mir bekannt vor, aber von wem ist das?«, fragte er liebenswürdig.
Kate war überrascht, dass er eine Gedächtnisauffrischung brauchte. Die Worte stammten von John Milton, dem Verfasser des Verlorenen Paradieses. Nicht aus einer seiner Dichtungen, sondern aus einem Traktat, der großartigsten Verteidigungsrede für die Rede- und die Pressefreiheit, die je zu Papier gebracht worden war.
»Das ist aus Miltons Areopagitica« ,sagte sie.
»Ach ja, Milton«, sagte ihr Gastgeber.
Doch John runzelte die Stirn.
»Ein Reh was?«, fragte er.
Es kam völlig unerwartet. Sie hatte nicht einmal Zeit nachzudenken, sondern prustete laut los.
Und der junge John Master errötete und machte ein beschämtes Gesicht.
*
»Nun«, sagte ihr Vater munter, während sie zu ihrer Unterkunft zurückgingen, »das Essen hätte schlimmer verlaufen können. Bedauerlich allerdings, dass sich deine New Yorker Verwandten als Schmuggler entpuppen mussten.«
»Mr Master scheint recht gebildet zu sein«, meinte sie.
»Hmm. Auf seine Art, würde ich sagen. Beim Jungen, furchte ich«, fügte er vertraulich hinzu, »ist Hopfen und Malz verloren.«
»Vielleicht«, äußerte sie zögernd, »bist du zu streng.«
»Ich glaube nicht.«
»Mir hat er gefallen, Vater«, sagte sie. »Sehr.«
*
Das Gericht befand sich im Hauptgeschoss des Rathauses an der Wall Street, und der Gerichtssaal war ein lichtdurchfluteter hoher Raum. Die zwei Richter, Philipse und Delancey, thronten, in Perücke und scharlachfarbener Robe, auf einer Estrade. Die Geschworenen saßen auf zwei Bänken zu ihrer Linken. Das – sehr gemischte – Publikum fand Platz an den Wänden und in der vorderen Hälfte des Saales. Es hätte ohne Weiteres eine protestantische Gemeinde sein können, die auf den Prediger wartete. In der Mitte, vor den Richtern, stand der einer Kirchenbank ähnelnde Kasten für den Angeklagten. Dieser musste nicht weit laufen, da die Zellen sich im Kellergeschoss des Gebäudes befanden.
Kate und ihr Vater hatten gute Plätze in der ersten Reihe bekommen. Sie schaute sich neugierig im Saal um und beobachtete alles genau. Doch am interessantesten war für sie die Veränderung, die sie an ihrem Vater wahrnahm. Für den außenstehenden Betrachter sah er noch ganz wie der ruhige, vorsichtige Advokat aus, der er war; Kate hingegen verrieten seine ungewohnte Blässe, die Wachsamkeit in seinem Auge und die nervöse Angespanntheit seines Gesichts etwas ganz anderes. Sie hatte ihren Vater in ihrem ganzen Leben noch nie so erwartungsvoll gesehen.
Bradley, der Kronanwalt, stämmig und selbstgewiss, in Perücke und langer schwarzer Robe, nickte einzelnen Personen hier und da munter zu. Das Gericht hatte einen – durchaus nicht inkompetenten – Anwalt namens Chambers zum Verteidiger des Druckers bestellt. Auch ihm nickte der Kronanwalt zu, wie um zu sagen: »Sie können nichts dafür, Sir, dass ich Sie gleich zermalmen werde.«
Jetzt entstand eine Bewegung. Durch eine kleine Tür an der hinteren Seite des Saales führten zwei Gerichtsdiener, wie zwei riesige schwarze Hummeln anzusehen, Johann Peter Zenger herein. Wie winzig er zwischen ihnen wirkte – ein adretter kleiner Bursche in einem blauen Rock, der dennoch den Kopf hoch erhoben hielt, als sie ihn zu seinem Kasten führten und ihn darin einschlossen.
Die Anklageschrift wurde verlesen. Der Kronanwalt erhob sich.
Kate hatte schon früher Gerichtsverhandlungen beigewohnt. Sie wusste, was sie zu erwarten hatte. Der Ankläger brauchte nicht lange, um zu erklären, Zenger sei ein »Aufrührer« und schuldig der Verbreitung von aufwieglerischen Schriften, die den Zweck verfolgten, den guten Gouverneur Cosby zu verunglimpfen und zu beleidigen. Die Geschworenen hörten aufmerksam zu, verrieten aber mit keiner Geste oder Miene, was sie dachten.
Dann stand Chambers auf und sprach ein paar lustlose Worte zur Verteidigung des Druckers. Sie sah, wie ihr Vater die Stirn runzelte. »Man hätte annehmen sollen«, flüsterte er ihr ins Ohr, »dass die Männer, die hinter Johann Peter Zenger stehen, etwas Besseres als das zu bieten haben würden.«
In diesem Moment geschah etwas Merkwürdiges. Ein alter Gentleman, der bis dahin unauffällig in einer der hinteren Reihen gesessen
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