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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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er immer seltener umhin, seinen ehemaligen Liebhaber für dessen Geschick und Klugheit zu bewundern, dank derer er den Zug des Prinzen vorhergesehen hatte. Mit einem bescheidenen Nicken folgte er Johns Aufforderung, nahm an dem Eichentisch Platz und tauchte die Feder in die Tinte, nachdem er das Fässlein entkorkt hatte.
     
    »An Ranulf of Chester« , hub Lackland entschlossen an.
     
    ****
     
    Während der Bruder des Königs sorgfältig Wort für Wort wählte, starrte Jeanne in ihrer Schlafkammer in die hereinbrechende Dämmerung hinaus. Eine Zentnerlast auf ihrer Brust hatte verhindert, dass sie trotz eines Baldriantrankes Schlaf hatte finden können. Und so war sie schließlich kurz nach dem Läuten der Glocken, welche die Gläubigen zur Laudes riefen, in ein warmes Wollgewand geschlüpft und hatte sich mit untergeschlagenen Beinen auf der Sitztruhe vor dem von Eiskristallen überzogenen Fenster niedergelassen. Wenngleich die Furcht vor der erneuten unfreiwilligen Vermählung ihr beinahe den Verstand raubte, drängte sich immer wieder die Erinnerung an die Begegnung im Garten in den Vordergrund ihres Bewusstseins. Was für ein wunderschönes Gefühl es gewesen war, als sich Rolands Lippen auf die ihren gelegt hatten! Erneut überwältigte sie die Erinnerung an den Strudel der Empfindungen, der sie mitgerissen hatte, als Roland sie schließlich an seine Brust gezogen hatte. Als strichen seine Hände erneut über ihren Rücken und durch ihr Haar, als brenne sein Mund immer noch auf dem ihren, spürte sie, wie sich eine Woge der Hitze in ihr ausbreitete. Obwohl die düsteren Ängste um ihre Zukunft versuchten, die Oberhand zu gewinnen, besiegte das allmählich zurückkehrende Hochgefühl ihre Verzweiflung, und sie schob trotzig den Unterkiefer nach vorn. Auch wenn Richard Löwenherz sie tausendmal verschacherte, würde sie Roland dennoch niemals aufgeben! Wenn der Graf von Blois ein ebensolcher Tölpel war wie Arnauld, dann würde sie auch ihm davonlaufen!
    Gerade wollte sie sich von der Truhe erheben, um ihre Freundin Catherine – die für gewöhnlich sehr spät zu Bett ging – um Rat zu fragen. Aber da tauchten unter ihr, auf dem verschneiten Rasen des Kampfplatzes, zwei Gestalten auf, von denen die eine merkwürdig vertraut wirkte. Während der hintere der beiden Männer aufrecht schritt und die beinahe unnatürlich breiten Schultern reckte, schien der vordere, den sie mit einem heißen Stich der Freude erkannte, von einer enormen Last niedergedrückt. Obgleich Roland beinahe sechs Fuß maß und wenig schmächtig gebaut war, überragte ihn der Hüne beinahe um Haupteslänge. Was um alles in der Welt mochten die beiden zu dieser nachtschlafenden Stunde auf dem Kampfplatz zu suchen haben, fragte sie sich verdutzt. Doch ehe sie nach einer Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten der beiden Männer suchen konnte, stockte ihr vor Schreck der Atem. Mit einem groben Schlag in die Rippen nötigte der Riese Roland dazu, eine Axt und einen Morgenstern aufzuheben und mit waagerecht vom Körper abgespreizten Armen in der Luft zu halten. Während der junge Mann mit steinerner Miene die schweren Waffen von sich streckte, als wögen sie nicht mehr als ein Sack Federn, rammte sein Begleiter zwei brennende Fackeln direkt unter Rolands Fäusten in den harschigen Schnee und richtete sich mit einem grausamen Lächeln auf, um sein Werk zu betrachten. In der Zwischenzeit hatte sein Opfer die Arme bereits etwas sinken lassen. Doch als er der heftig flackernden Pechflamme gefährlich nahe kam, riss er sie hastig wieder nach oben.
    Entsetzt verfolgte Jeanne, wie Rolands Peiniger einen Knüppel aufnahm, ausholte und dem jungen Mann damit in die Kniekehlen schlug. Wie vom Blitz gefällt, brach dieser zusammen, taumelte vorn über und ließ Axt und Morgenstern auf den gefrorenen Boden fallen. Anstatt liegen zu bleiben, rappelte er sich allerdings augenblicklich wieder auf und nahm mit steinernem Gesicht seine ursprüngliche Position ein. Da der Hüne hinter ihm stand, sah er auch den zweiten Schlag nicht kommen. Als er versuchte, das Gleichgewicht zu halten, ruderte er mit der Rechten und verbrannte sich an einer der Fackeln. Kaum ließ er daraufhin die Streitaxt zu Boden fallen, holte sein Peiniger ein weiteres Mal aus und drosch mit dem Knüppel brutal auf seinen Rücken ein. Mit einem spitzen Schrei taumelte Jeanne auf die Beine, warf sich ein wollenes Übergewand um die Schultern und schlüpfte achtlos in ihre Schuhe. Ohne

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