Im Reich der Löwin
und Steuerbeamte, die mit den Einnahmen aus dem Umland nach London zurückkehrten, um diese noch vor Ablauf des Jahres dem Schatzmeister zu übergeben. Als ein Dreiergespann von Schlägern sich an einer Dame auf einem Zelter vergriff, diese in einer winzigen Nebenstraße in den schlammigen Schnee zwang und sich an ihr verging, schüttelte Guillaume angewidert den Kopf. Hastig zog er sich in den hinter ihm liegenden Innenhof zurück, in dem schmutziges Eis die Schlaglöcher füllte. So konnte es nicht weitergehen! Die meisten der Aufständischen hatten mehr Interesse daran, ihren weiblichen Opfern die Röcke zu zerreißen, als weitere Geldmittel für die gemeinsame Sache heranzuschaffen. Auch wenn das Waffenlager inzwischen beinahe groß genug war, um den finalen Schlag zu wagen, fehlte noch die eine oder andere Gerätschaft, ohne die das Unterfangen zum Scheitern verurteilt sein würde.
Die seit einigen Wochen immer häufiger werdenden Überfälle waren Teil von John Lacklands ausgeklügeltem Plan. Ziel des Unterfangens sollte sein, die Moral der ohnehin nicht mehr besonders gut auf Hubert Walter zu sprechenden Bevölkerung Londons so weit zu unterwandern, dass – wenn der Gipfel erreicht war – kein Zweifel an der Notwendigkeit eines Regierungswechsels bestehen konnte. Noch geschahen die Übergriffe unter dem Deckmantel der ordinären Bereicherung. Bei dem Gedanken an die von ihm selbst ersonnene List huschte Guillaume ein schadenfrohes Lächeln über die bleichen Züge. Durch Zufall hatte er erfahren, dass der verhasste Freund seines Bruders, Robin of Loxley, sich in England befand. Und so hatte er kurzerhand beschlossen, das Gerücht zu streuen, dass dieser seinen alten Lebenswandel wieder aufgenommen hatte und – wie vor beinahe drei Jahren – die Reichen beraubte, um Geldmittel für seinen König zu sammeln. Zwar konnte er nicht so weit gehen, ihn offiziell zu beschuldigen, da in diesem Fall selbst dem Sheriff die Hände gebunden waren. Doch trübte diese kleine Einfärbung der Wahrheit nicht nur den Ruf des ehemaligen Volkshelden, sondern auch den des immer noch als Held des Kreuzzuges verehrten Königs. Dennoch! Mit einem letzten missfälligen Blick wandte Guillaume der Szene den Rücken und eilte durch das verwinkelte Labyrinth aus Gassen und Hinterhöfen zurück zu seiner Unterkunft im Palast des Bischofs von Salisbury. Er würde FitzOsbern aufsuchen müssen, um die weitere Vorgehensweise besser mit ihm abzustimmen. Wenn das Unternehmen von Erfolg gekrönt sein sollte, mussten die Zügel fester angezogen werden.
Poitiers, Weihnachten 1195
Zu dem Zeitpunkt, als sein Helfer in London die engen Stufen zu seiner Kammer im Palast des Bischofs hinaufhastete, lag sein Auftraggeber viele Meilen weiter südlich am Hof von Poitiers auf den Knien und betete. »Heiliger Dunstan, gib mir Kraft, diese Schande in einen Triumph zu verwandeln.« John Lacklands Lippen bewegten sich kaum merklich, als er sich bei diesem Anruf bekreuzigte und von der harten Kniebank vor dem kleinen Altar in der Kapelle erhob, die zu dieser frühen Stunde wie ausgestorben dalag. Da die meisten der adeligen Gäste noch den Rausch vom Bankett des vergangenen Abends ausschliefen, würden die ersten Gläubigen nicht vor Beginn der sechsten Stunde zur Messe zusammenströmen. Was ihm noch mindestens zwei Stunden Zeit gab. Vor den schmalen Fenstern des runden Kuppelbaus herrschte noch pechschwarze Finsternis. Lediglich dem hell leuchtenden Morgenstern gelang es, die milchig über den Sichelmond ziehenden Wolken zu durchdringen. Mit knackenden Gelenken streckte John die steifen Glieder, zog den warmen Mantel enger um die Schultern und verließ mit einem letzten Blick auf das reich verzierte Kruzifix das Gotteshaus. Auf leisen Sohlen wandelte er die scheinbar endlosen Korridore entlang, bis er schließlich seine eigenen Gemächer im ersten Stock erreichte, wo er mit einem Frösteln das ersterbende Feuer im Kamin neu entfachte. Nachdem er einige Scheite Birkenholz nachgelegt hatte, leckten die Flammen züngelnd um das eiserne Gitter. Als er den pelzgefütterten Mantel gegen ein seidenes Übergewand eingetauscht hatte, ließ er sich ermattet auf einen gepolsterten Schemel fallen und starrte in die Glut.
Beinahe vier Stunden hatte er in der Abgeschiedenheit der Kapelle zugebracht, bis die wirren Gedankenstränge in seinem Kopf sich zu einem Plan von solcher Eleganz und Schönheit geordnet hatten, dass ihn die Vorfreude mit einer Wärme
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