Im Reich der Löwin
Mercadier!«
London, Ende Dezember 1195
»Es geht das Gerücht um, einer der Männer des Bischofs von Salisbury stecke dahinter.« Die Gesichtszüge des geduckt im Schatten der Säule stehenden Spions erschienen in ihrer Schärfe beinahe unwirklich. Doch als sich der wie eine Wunde unter der Nase klaffende Mund zu einem lückenhaften Lächeln verzog, war der Eindruck wie weggewischt. Stirnrunzelnd trat der Erzbischof von Canterbury, Justiziar und päpstlicher Legat Hubert Walter, von dem Fenster in seinem Palast zurück, durch das er auf die Dächer der Hauptstadt hinabgestarrt hatte, und bedachte den Besucher mit einem kalten Blick. Das beinahe weißblonde Haar des ernsten Kirchenmannes wirkte im Licht des schwachen Kaminfeuers wie ein Heiligenschein. Und auch die wässrig blauen Augen unterstrichen diesen Eindruck des Überweltlichen. Seine hochgewachsene Gestalt steckte in einem schwarzen Feiertagsgewand, dessen Schlichtheit lediglich von einem dunkelvioletten Gürtel aufgelockert wurde. »Ich dachte mir schon, dass der Pöbel nicht von selbst auf diese Idee gekommen ist«, stellte er mit schneidender Stimme fest. Denn seit er vor wenigen Tagen in der Versammlung der Kleriker hatte bekannt machen lassen, dass von Beginn des folgenden Jahres an die Abgaben der Städte und Grafschaften nicht mehr an die Sheriffs , sondern direkt an das königliche Schatzamt gehen würden, hatten sich die Übergriffe auf die Steuerbeamten noch verstärkt. Auch waren viele der Bischöfe gegen die Idee gewesen, den Städten Privilegien zu verkaufen, mit denen der Einfluss der reichen Abteien und Klöster zum Teil empfindlich beschnitten werden würde. »Der König braucht Gelder für den Krieg gegen Philipp von Frankreich«, hatte Hubert Walter nüchtern beschieden. Aber die schlechte Beleuchtung im Inneren der Versammlungshalle hatte den empörten Ausdruck auf so mancher Miene nur schwer zu verbergen vermocht. »Hört Euch weiter um«, befahl er dem Spion nach einem kurzen Augenblick des Schweigens. »Wenn Ihr einen Namen habt, kommt wieder.« Keinen Moment hatte er der Mär, Robin of Loxley habe mit diesen Überfällen etwas zu tun, Glauben geschenkt.
Poitiers, Anfang Januar 1196
»Wenn der König davon erfährt …« Mit einem leidenschaftlichen Kuss machte Roland die vor Aufregung heftig atmende Jeanne mundtot und zog sie nach einem letzten, vorsichtigen Blick über die Schulter in das kleine Gemach im Erdgeschoss der Festung, dessen Schlüssel er sich mit einer List vom Steward erschlichen hatte. Immer wieder hatten sie in den letzten Tagen unbeobachtete Augenblicke gestohlen, um dem Gebot Richards zuwiderzuhandeln und sinnestaumelnde Liebesbekundungen auszutauschen. Kaum war die eisenbeschlagene Tür der Kammer hinter ihnen ins Schloss gefallen, drehte Roland den rostigen Schlüssel und schob den Riegel in die dafür vorgesehenen Halterungen, bevor er sich wieder Jeanne zuwandte, die ihn mit großen Augen anstarrte. Ihre zierliche Gestalt wirkte vor dem Hintergrund der groben Bettstatt noch zerbrechlicher als gewöhnlich, und in den grünen Augen lag ein Ausdruck, in dem sich Furcht, Neugier und Anspannung vermischten. Ihr Mund war leicht geöffnet, und während sie mit der Linken nervös an einer der rotbraunen Locken nestelte, runzelte sie nervös die Brauen. »Er wird uns bestrafen«, flüsterte sie. Doch als Roland auf sie zutrat und sie zärtlich an sich zog, verstummte sie erneut und gab sich der Umarmung hin. Vorsichtig löste der junge Mann die Nadeln, mit denen die Flut kastanienfarbenen Haars auf ihrem Kopf aufgetürmt war, und ließ den durchscheinenden Schleier achtlos auf den ungefegten Dielenboden segeln. Als sie das Gesicht zu ihm hob, küsste er sanft die Lider ihrer Augen, wanderte zu ihrer Schläfe weiter und – als sie unter seiner Berührung leicht erschauerte – zu ihrem Hals.
Langsam und vorsichtig tasteten sich seine Hände ihren Ausschnitt entlang, schoben den seidenen Überwurf zurück und liebkosten die zarte Haut ihrer Schultern, bis sie schließlich den Weg zu ihrer geschnürten Brust fanden, die er sanft umfing. Als Daumen und Zeigefinger ihr Ziel fanden, biss Jeanne sich mit einem leisen Stöhnen auf die Unterlippe und zog ihn hungrig an sich. »Nicht aufhören«, flehte sie, als er sich von ihrer Brust zurückzog. Aber als er stattdessen ihren Rücken entlangglitt und mit festem Griff ihre Hinterbacken umfasste, lösten sich ihre Hände, die bis jetzt reglos auf seinen Oberarmen
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