Im Reich der Löwin
erfüllte, die nichts mit dem Feuer zu tun hatte. Immer und immer wieder hatte er sich das Gehirn zermartert, wie er trotz des gerissenen Zuges seines Bruders das Machtspiel noch für sich entscheiden konnte. Aber erst als er erkannt hatte, dass es nicht eines Komplottes, sondern mehrerer bedurfte, war es ihm gelungen, die ihm im Weg stehenden Gegenspieler Schritt für Schritt auf dem Schachbrett seines Geistes zu eliminieren. Zuallererst musste er sich der Gefahr eines direkten Nachkommen Richards entledigen, dachte er bitter und drehte das kleine Fläschchen, das er gegen ein Silberstück von einem der Novizen aus der Abtei hatte stehlen lassen, in den kalten Händen hin und her. Da es allgemein bekannt war, dass die Damen zu dem dunklen Destillat aus Belladonna griffen, um ihren Augen einen besonderen Glanz zu verleihen, würde sich niemand darüber wundern, wenn der Saft der ironischerweise als Auferstehungsblume stilisierten Frucht zufällig den Weg in ein Getränk fand. Wie schnell war doch eine Unachtsamkeit geschehen! Er lächelte dünn.
Der Zweite in der Linie seiner zu fällenden Feinde war Arthur, der inzwischen neunjährige Sohn seines verstorbenen ältesten Bruders Geoffrey, der Erbe des bretonischen Herzogtums. Richards Ankündigung zufolge wollte dieser den Knaben an den Hof in Poitiers holen, um ihn zum Knappen und Ritter ausbilden zu lassen. Und – dessen war sich John sicher – ihn auf seine Rolle als zukünftiger König vorzubereiten. Da der junge Arthur mit seiner Mutter in der Bretagne zu Hause war, hatte Lackland beschlossen, sich mit einer ausgeklügelten Lüge an ihren in England getrennt von ihr lebenden Gemahl, Ranulf of Chester, zu wenden, diesen zu einer Torheit zu bewegen und sie anschließend Richard in die Schuhe zu schieben. Selbst für einen Meister der Intrige barg dieses Unterfangen unzählige Stolperstellen, die es so gut als möglich vorherzusehen galt. »Waleran!«, brüllte er ungeduldig. Als sein Page schlaftrunken aus dem Nebenraum in sein Gemach gestolpert kam, hielt er sich nur mit Mühe davon ab, den faulen Burschen zu ohrfeigen. »Hol Devizes!« Nachdem sich der Knabe, der in Beinlingen und Cotte geschlafen hatte, verbeugt und entfernt hatte, wandte John die Gedanken dem letzten und gefährlichsten Hindernis auf seinem Weg zur Erbfolge zu: Otto von Braunschweig. Durch die Ernennung zum Herzog von Aquitanien und Poitou war er gewissermaßen an erste Stelle gerückt, sollte Richard vor Arthurs Volljährigkeit das Zeitliche segnen. Wie er dieses Problem aus dem Weg schaffen sollte, war ihm noch nicht vollkommen klar. Doch nachdem der Vater des Welfen, Heinrich der Löwe, im August in Braunschweig verstorben war, musste es möglich sein, Otto – auch wenn er der drittälteste Sohn des Löwen war – nach Deutschland abzuschieben. Zwar waren die Beziehungen zwischen Vater und Sohn durch Spannungen belastet gewesen. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Otto, der weithin als begnadeter Feldherr galt, von vielen Mitgliedern der antistaufischen Allianz am Niederrhein verehrt und geachtet wurde.
Er seufzte und löste die Schnürung seines Surkots , da das Feuer den Raum inzwischen auf eine angenehme Temperatur aufgeheizt hatte. Die flackernden Schatten verliehen den Kreuzzugsszenen auf den beiden schweren Wandbehängen eine Lebendigkeit, die man bei Tageslicht nur erahnen konnte. Während er erstaunt beobachtete, wie die Silberfäden der Knüpfarbeit den Klingen der christlichen Eroberer Jerusalems einen realistischen Glanz verliehen, fuhr er sich durch den rotblonden Schopf. Sein Magen knurrte. Trotz der bei dem Bankett aufgetragenen Köstlichkeiten hatte er kaum etwas gegessen, da ihm die Ankündigungen seines Bruders den Appetit verdorben hatten. Lustlos griff er in eine Holzschale voller Nüsse und Äpfel, schleuderte die rotwangige Frucht jedoch nach dem dritten Bissen angewidert in die Flammen, die sich mit einem ärgerlichen Zischen beschwerten. Bevor er der Versuchung erliegen konnte, seinen Hunger mit Walnüssen zu stillen, öffnete sich die Tür und sein Page führte Richard of Devizes in das Gemach. »Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Mylord?«, fragte der schwarzhaarige Knabe schüchtern. Nachdem John ungehalten den Kopf geschüttelt hatte, schlüpfte er lautlos in seine Kammer zurück und schloss die Tür.
»Setzt Euch«, forderte Lackland den schlanken Chronisten auf, um dessen Mund ein belustigtes Lächeln spielte. Seit der List von Issoudun kam
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