Im Reich der Löwin
los und betrachtete erneut den hochgewachsenen, beinahe krankhaft dünnen Grafen, dessen dunkles Haupt von einem kranichartigen Hals getragen wurde. Mit dem schwarzen Haar und den glänzenden Augen wirkte er eher wie ein Anhänger Mephistos als wie ein Gefolgsmann der umstrittenen Bewegung der Katharer, die von den strengen Hütern des Glaubens in Rom bereits mit mehr als nur geringem Misstrauen beobachtet wurde. Erzählungen zufolge glaubten diese Männer und Frauen an die Existenz eines guten und eines bösen Gottes, die unabhängig voneinander die Geschehnisse auf der Erde lenkten. Oder so etwas in der Art. Nur mit Mühe verkniff Richard sich ein verächtliches Schnauben, als der ernste Raimund Johannas Hand ergriff und sie den langen Gang der Kathedrale entlang auf das geöffnete Kirchenportal zuführte.
Angeblich war das Konzept der Askese eine der zentralen Lehren dieses merkwürdigen Glaubens, da deren Anhänger fürchteten, ansonsten in geringerer sterblicher Hülle – etwa als Leibeigener oder Tier – wiedergeboren zu werden. Was für ein Unsinn! Richards Verachtung für Kirchenmänner hatte sich durch das lächerliche Machtspiel, das Walter von Rouen angeleiert hatte, noch verschärft. Sobald Johanna in dem prunkvollen Hochzeitsgemach der beiden die Hüllen fallen ließ, war es vermutlich vorbei mit der Askese des Grafen! Ein flegelhaftes Grinsen huschte über sein Gesicht. Immer noch hätte er sich am liebsten für das unkonventionelle Angebot, das ihm die Treue der seit Unzeiten mit Aquitanien verfeindeten, bedeutenden Grafschaft Toulouse eingetragen hatte, selbst auf die Schulter geklopft. Durch die Beinverletzung ans Krankenlager gefesselt, hatte er – für seinen Geschmack beinahe zu viel – Zeit gehabt, sein bisheriges Vorgehen in dem Krieg gegen Philipp von Frankreich zu überdenken. Zwar waren durch den Krieg inzwischen weite Gebiete wieder unter seiner Herrschaft. Doch hatte ihm die fehlgeschlagene Sommerkampagne, die ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte, die Augen geöffnet, dass es an der Zeit war, seinen Kurs zu überdenken. Wenn er weiterhin ausschließlich auf die militärische Karte setzte, drohte sich der Konflikt früher oder später zu einer endlosen Serie von Burgenbelagerungen auszuwachsen. Was insofern nicht besonders sinnvoll war, da eroberte Festungen – wie Philipp am Beispiel von Nonancourt gezeigt hatte – nur allzu schnell wieder verloren gehen konnten. Stattdessen waren neue Strategien vonnöten, damit die französische Bedrohung ein für alle Mal gebannt und Richards Reich dauerhaft gefestigt werden konnte. So war er nach langem Grübeln zu dem Schluss gekommen, dass es an der Zeit war, sich der Bündnispolitik zuzuwenden und Philipp von Frankreich mit diplomatischen Mitteln in die Defensive zu drängen.
Daher hatte er beschlossen, alte Feindschaften zu begraben und seinen ehemaligen Gegnern – dort wo für ihn günstig – als Diplomat zu begegnen, dessen Angebote nur schlecht abgelehnt werden konnten. Nicht wenig erstaunt hatte Raimund Richards Vorschlag aufgenommen, dem Grafen die Region des Quercy zurückzuerstatten, um die sich die beiden Parteien bereits seit König Henrys Zeiten stritten, und ihm seine Schwester Johanna als Braut zu geben. Das alles allerdings nur, wenn Raimund im Gegenzug Richard eine Lehnshuldigung erwies und sich somit gegen den französischen König stellte. Zwar wäre allein das Quercy Grund genug für Raimund gewesen, das Angebot anzunehmen. Doch war vermutlich die Mitgift Johannas – das zu Aquitanien gehörige Agenais – das Zünglein an der Waage gewesen. Humpelnd bemühte sich der englische König, auf seinen Knappen gestützt so majestätisch als möglich den Mittelgang der Kirche entlangzuschreiten, während sein Blick triumphierend auf dem Brautpaar ruhte. Halb hatte er befürchtet, dass Johanna auf den Vorschlag, Raimund zu ehelichen, ähnlich reagieren würde, wie auf seine fünf Jahre zurückliegende Idee, die Schwester mit dem Bruder des Sultans Salah ad-Din zu vermählen, um damit einen Waffenstillstand im Heiligen Land zu erkaufen. Aber zu seinem nicht geringen Erstaunen hatte sie bereitwillig zugestimmt. Vermutlich war es höchste Zeit, dass sich mal wieder ein Mann um ihre intimsten Bedürfnisse kümmerte, dachte der englische König amüsiert, wurde jedoch augenblicklich wieder ernst, als er das über die Tür in den Putz gemalte Wappen des Bischofs von Rouen erblickte.
Zwar hatte er mit Johannas Vermählung die
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