Im Reich der Löwin
erwartet?« Er grinste anzüglich, wurde jedoch von dem Fanfarensignal, das sowohl die Kämpfer als auch die Zuschauer zur Ruhe rief, unterbrochen.
Kaum waren die Fanfaren verhallt, erhob sich der König, signalisierte vier Dienern, den Vorhang um die abgetrennte Loge zu entfernen, und wandte sich an die Versammelten: »Willkommen!«, dröhnte der Bass des Engländers über den weiten Platz. »Der heutige Tag wird dem Tapfersten unter Euch die Hand dieses Edelfräuleins bescheren.« Begleitet von einem weiteren Signal fiel das Tuch zu Boden. Und in dem Moment, in dem die in atemberaubend kostbare Gewänder gehüllte junge Frau sichtbar wurde, tat sich der Boden unter Roland auf. Mit einem erstickten Keuchen taumelte er einen Schritt zurück, unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei und stieß heftig gegen die Flanke seines Wallachs. »Da unser Sieg gegen Philipp von Frankreich so gut wie besiegelt ist«, vernahm er Richards Stimme, »besteht die Mitgift dieser Dame zur Feier des Tages aus fünfhundert Goldmünzen.« Eine kurze, wirkungsvolle Pause ließ alle Augenpaare gespannt auf seiner imposanten Gestalt verharren. »Sowie der Grafschaft Touraine.« Kaum waren diese Worte verhallt, erhob sich aus den Reihen der etwa fünfzig Jungritter um Roland herum lautstarker Jubel, der so lange anhielt, bis ein weiterer durchdringender Ton den Beginn des Turniers verkündete. Während Roland mit Schwindel und Übelkeit kämpfte, schob sich Mercadier näher an ihn heran und raunte ihm ins Ohr: »Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich darauf brenne, sie zu lehren, wie nahe Lust und Schmerz beieinanderliegen!« Bevor Roland sich von der Benommenheit erholen und Mercadier den Kettenhandschuh ins Gesicht schleudern konnte, war dieser in dem Getümmel aus Menschen und Pferdeleibern verschwunden, um sich auf den ersten Kampf des Turniers vorzubereiten.
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Derweil Ritter und Knappen für das mit scharfen Waffen ausgetragene Turnier Aufstellung bezogen und die Helfer ein letztes Mal die Abtrennung des Kampfplatzes überprüften, kämpfte Jeanne gegen eine Ohnmacht an. Wie ein Stück Vieh! Während das Blut brennend in ihre Wangen stieg, war sie bemüht, den stieren Blicken der Männer und Frauen, die ihren Wert taxierten, auszuweichen und die Gesichter der Kämpen zu erkennen, deren Zelte sich am entfernten Ende des Platzes im Wind wiegten. Im Geiste versuchte sie, Banner für Banner den Herkunftsorten der meist jungen Ritter zuzuordnen. Doch als sie an dem weiß-rot karierten Wappen mit den drei gelben Löwen anlangte, fiel ihr Blick auf einen halb verdeckten Kämpfer, der sich kurz darauf – scheinbar Halt suchend – an sein Schlachtross lehnte. Als sie den jungen Mann erkannte, erschrak sie bis ins Mark. Roland! Die Luft schien auf einmal zu dünn zum Atmen. Mühsam um Fassung ringend, zerrte sie an den Schnürungen ihres Bliauds, doch selbst als die darunterliegende Seiden cotte mehr freigab als sittsam war, fiel das Gefühl des Erstickens nicht von ihr ab. Sie presste die Knöchel an die Lippen. Er würde sterben! Der Gedanke an den zerschlagenen Körper ihres Geliebten ließ sie in sich zusammensacken. Hätte nicht eine der Zofen ihren Oberarm ergriffen, um sie zu stützen, wäre sie unelegant zu Boden gesunken. »Oh, mein Gott«, flüsterte sie und schloss die Augen, um den Schwächeanfall zu besiegen. Wenn sie Roland inmitten der Kämpfer erkannt hatte, konnte er sie mit Sicherheit auch sehen! Und auf keinen Fall wollte sie ihn durch die Zurschaustellung ihrer Schwäche in Gefahr bringen! Ein verzweifeltes Gebet murmelnd, stemmte sie die Handflächen auf die Sitzfläche der Bank und schob sich zurück in eine aufrechte Position.
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Das Donnern der Hufe seines Apfelschimmels hallte dröhnend in Rolands Kopf wider. Aber wie bei den anderen Kämpfen zuvor schien auch dieser Anritt gegen den Gegner im Nebel zu verschwinden und vorüber zu sein, bevor er begonnen hatte. Wie das übrige Dutzend Jungritter hebelte Roland auch diesen Burgunder – begleitet vom Jubel der Zuschauer – mit einem gekonnten Lanzenstoß aus dem Sattel. Und ehe das seines Reiters beraubte Schlachtross von den Knappen und Pagen eingefangen werden konnte, befand er sich wieder am Ausgangspunkt des Lanzenrittes. Drei seiner Gegner waren bereits beim Aufprall auf den von den Hufen aufgewühlten Boden tot gewesen. Und auch Roland hatte durch eine Unachtsamkeit eine schmerzhafte Wunde am linken Oberarm davongetragen.
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