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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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einschließen würde –, fürchtete sie sich davor, Roland jemals wieder loszulassen. Was, wenn Gott das nächste Mal nicht seine schützende Hand über ihn halten würde?, fragte sie sich. Was, wenn er im Kampf fiel? Die Vorstellung, wie Catherine of Leicester eine solche Schreckensnachricht zu erhalten, schnürte ihr die Luft ab. Sie klammerte sich noch fester an ihn und schloss die Augen. An so etwas durfte sie nicht denken! Sie musste auf Gott vertrauen. Schließlich schien er ihnen ihre Sünde vergeben zu haben. Mit einem leisen Seufzer wischte sie die düsteren Gedanken beiseite und schmiegte ihre Wange an die seine.

Rouen, Dezember 1197
     
    Knapp drei Monate später verfolgte Richard of Devizes mit einem wenig betrübten Blick, wie die letzte Pergamentrolle der für John Lackland gefälschten Chronik im Feuer der billigen Taverne am Seine-Ufer in Flammen aufging. Fröstelnd kauerte er sich näher an die lediglich von dem stark rußenden Pergament am Leben erhaltene Glut, um sich die klammen Finger zu wärmen. Diese steckten in zerschlissenen Handschuhen, welche – ebenso wie der Rest der Tracht – schon bessere Tage gesehen hatten. Die vor Feuchtigkeit dunklen Wände der ebenerdig gelegenen Kammer schienen mit jedem zu Asche zerfallenden Blatt weiter zurückzuweichen, als die Beklemmung der vergangenen Monate sich Stück für Stück in Luft auflöste. Während er sich abwesend die blonden Locken aus der Stirn schob, wippte der Chronist auf den Fußballen auf und ab und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Wie sehr ihn diese Fälschung und der damit an Richard Löwenherz begangene Verrat in letzter Zeit bedrückt hatten! Obschon er seinem ehemaligen Liebhaber die Grausamkeit und Gleichgültigkeit, mit der dieser ihn durch den Barden Blondel ersetzt hatte, niemals würde verzeihen können, lagen zwischen dem Groll verschmähter Liebe und dem von John Lackland geforderten Hochverrat Welten – Welten, die zu erkunden, er nicht länger bereit war.
    Durch den Tod Mercadiers von einer schwärenden Wunde befreit, hatte er bereits kurz nach der Rückkehr von Château Gaillard den Entschluss gefasst, zu der vor beinahe zehn Jahren aufgegebenen Beschaulichkeit des Klosterlebens zurückzukehren. So konnte er den Rest seines Lebens in den Dienst eines Gottes stellen, an den er zwar schon lange nicht mehr glaubte, dessen Regeln er jedoch verstand. Da der Bruder des Königs am Morgen des Vortages nach Norden aufgebrochen war, um einige Angelegenheiten in Dieppe zu regeln, hatte Devizes, ohne zu zaudern, seinen mageren Besitz in einen Beutel geschnürt und sich mit einem gezwungenen Lächeln und einer fadenscheinigen Lüge, das Ziel seines Ausfluges betreffend, bei den Torwächtern verabschiedet. Sein treuer Wallach, der ihn bereits auf den Zug ins Heilige Land begleitet hatte, harrte in dem überfüllten Stall der Taverne darauf, dass sein Herr ihn von dem verschimmelten Stroh seiner viel zu kleinen Box befreite und ihn auf eines der streng kontrollierten Fährschiffe führte, die den Englischen Kanal in regelmäßigen Abständen überquerten. Mit einem trockenen Husten wandte er sich von dem immer stärker qualmenden Feuer ab und griff nach dem harten Kanten Brot, der sein Abendessen darstellte. Noch immer beschleunigte sich sein Herzschlag, wenn er an die Augenblicke des Bangens zurückdachte, als er sich in den Sattel seines Pferdes gezogen und den Stadtpalast hinter sich gelassen hatte – die Blicke der Wachen wie glühende Pfeile in seinem Rücken. Sobald Lackland von seiner Flucht erfuhr, würde er alles daran setzten, ihn ebenso mundtot zu machen, wie den jungen Huntingdon. Dessen war sich Devizes durchaus bewusst. Als Verfasser der vertraulichen Korrespondenz des Prinzen stellte er eine viel zu große Gefahr für den machthungrigen Bruder des Königs dar, als dass dieser ihn einfach so ziehen lassen konnte!
    Würgend schluckte er den trockenen Bissen, bevor er ihn mit einem Schluck billigsten Cidre hinabspülte. Nachdem er sich den Mund gewischt hatte, öffnete er das Fenster ein wenig, um den beißenden Rauch ins Freie zu lassen, und warf sich auf das schmale Bett, um die brennenden Augen zu schließen. Sobald er England erreicht hatte, würde er sich nach Norden wenden und erst, wenn er den Hadrianswall passiert hatte, würde er sich in Schottland nach einer Abtei umsehen, die bereit war, ihn aufzunehmen, ohne Fragen zu stellen. Fröstelnd zog er die dünne Decke über die Brust und faltete die Hände.

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