Im Reich der Löwin
tatsächlich den Kirchenbann über Richard verhängen würden! Er seufzte erneut und strich sich eine Strähne aus der Stirn.
»Sieh dich um«, forderte er Blondel auf, der gehorsam den Blick durch die zwar zweckmäßig, aber teuer eingerichtete Kammer gleiten ließ, durch deren schmale Fensterschlitze die Morgensonne drang. »Meine Festung ist uneinnehmbar«, fuhr Richard fort und richtete sich auf, um mit der Rechten nach seiner Cotte zu angeln und sich diese über den Kopf zu ziehen. »Philipp ist so gut wie besiegt, und die mächtigsten Männer des Reiches warten darauf, mir mit dem heutigen Turnier zu huldigen.« Er schnaubte. »Ich habe alle meine Feinde im Zaum und doch bedrängen mich Nacht für Nacht diese furchtbaren Träume!« Als Blondel beschwichtigend die Hand auf seine Schulter legte, schüttelte er diese ungewohnt barsch ab, entschuldigte sich jedoch sofort darauf mit einem zerknirschten Kopfschütteln. »Es tut mir leid«, bemerkte er niedergeschlagen. »Du kannst nichts dafür.« Schwerfällig stemmte er sich von der strohgestopften Matratze hoch, um Surkot , Beinlinge und Kettenpanzer anzulegen, ehe er Stiefel und Handschuhe überstreifte und den unbekleideten Blondel mit einem wissenden Blick bedachte. Wie jedes Mal, wenn er seinen Liebhaber in voller Rüstung vor sich sah, war die Erregung des Barden deutlich zwischen seinen Beinen zu lesen, was Richard trotz der niedergedrückten Stimmung, in der er sich befand, ein erheitertes Schmunzeln entlockte. »Vermutlich ist es die Angst davor, nach einem Sieg zur Untätigkeit verdammt zu sein«, scherzte er, obwohl diese Worte der Wahrheit näher kamen, als er es sich eingestehen wollte. »Du solltest dir auch etwas überwerfen«, neckte er den Dichter, der sich lustlos in eine sitzende Position geschoben hatte. »Was soll meine Mutter sonst von dir denken?«
Als Blondel bei dieser Bemerkung in Lachen ausbrach, hob sich die Laune des Königs, dem neben den grundlosen Sorgen auch die harte Prüfung, vor die er seinen Halbbruder bei dem heutigen Turnier stellen musste, Unwohlsein bereitete. Trotz des ungezügelten Zorns, den er empfunden hatte, als Roland sich ihm widersetzt hatte, musste er sich eingestehen, dass dieser sich verändert hatte. In den letzten Monaten war aus dem jungen Mann ein mutiger, talentierte Kämpfer und treuer Gefährte geworden. Er verdiente es, dass man die Verfehlungen der Vergangenheit vergaß und begrub. Und dennoch würde der frischgebackene Ritter beweisen müssen, dass er des Preises würdig war, den Richard Löwenherz für den Sieger des Schaukampfes ausgesetzt hatte! Nachdem auch Blondel sich in sein schillerndes Gewand gezwängt hatte, fuhr Richard ihm ein letztes Mal liebevoll durch den Schopf. Dann machte er sich auf den Weg in die Halle, wo seine Gäste darauf warteten, mit dem Frühschmaus zu beginnen.
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Während der König und sein Begleiter die schmalen Gänge der Festung entlangschritten, kniete Jeanne in einer winzigen Kammer im Erdgeschoss des Donjons auf einer harten Bank und starrte Löcher in die graue Wand vor sich. Wenngleich ihr Körper in einem prachtvollen Bliaud steckte, fühlte sie sich leer, nackt und ausgeliefert. Nur mit Mühe konnte sie ein Frösteln unterdrücken. Sofort nach ihrer Ankunft war sie nach einer kühlen Begrüßung durch Aliénor von Aquitanien von einer Dienstmagd in den zellenartigen Raum geführt worden, in dem sie seit drei Tagen darauf wartete, dass sich ihr offensichtlich vom Teufel besiegeltes Schicksal endlich erfüllte. Lediglich dank der Schwatzhaftigkeit ihrer jungen Ankleidehilfe hatte sie davon erfahren, dass der heutige Tag die Entscheidung ihres Lebens bringen würde. Denn hätte das Mädchen nicht wie ein Wasserfall geplappert, hätte Jeanne einen weiteren Tag des Bangens und Hoffens verbracht, an dessen Ende eine schlaflose Nacht wartete. »Warum, Herr?«, flüsterte sie erstickt. Aber wie seit Beginn ihres Martyriums erhielt sie auch dieses Mal keine Antwort auf die Frage, die sie nicht mehr loszulassen schien. Was hatte sie getan, dass Gott sie derart hart bestrafte? Hatte die Sünde, die sie begangen hatte, als sie Arnauld verließ, Gott derart verstimmt, dass er sie für den Rest ihres Lebens dafür bestrafen wollte? Müde wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Konnte die Tatsache, dass der Papst die Ehe annulliert hatte, den rächenden Gott in einen verzeihenden verwandeln? Sie stöhnte leise, als sie sich ausmalte, was die erneute
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