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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Langsam wurde sein Schildarm schwach, doch da mit dem Fall dieses Gegners nur noch ein Kampfpartner übrig blieb, ließ ihn die Hoffnung auf den Sieg das dumpfe Pochen vergessen. Mit jedem ausgeschiedenen Ritter war die Zeit, die den erschöpften Kämpfern zwischen den Ritten blieb, kürzer geworden. Auch dieses Mal ertönte – kaum hatte Roland sich an der Wasserkelle gelabt, die ein Page ihm reichte – das Fanfarensignal viel zu früh. Mit einem Stöhnen nahm er den Zügel seines ebenfalls erschöpften Tieres kürzer, wendete es, um seinen Platz einzunehmen und brachte die Waffe in Anschlag. Dann überprüfte er mit einem Blick auf den Schild seines letzten Gegners dessen Herkunft. »Unterschätzt niemals einen Ritter«, hatte William Marshal ihn gewarnt. »Oft gibt Euch das Wappen bereits wertvolle Auskünfte.« Beinahe sklavisch hatte sich der junge Mann an diesen Rat gehalten, was ihn in diesem Kampf bereits vor einigen bösen Überraschungen bewahrt hatte. Doch als er das Schwarz-Gelb des nächsten Kämpen erkannte, senkte sich eine rote Wolke der Wut und des Hasses über seine Sinne.
    Wie um seine Verachtung für den jungen Widersacher zu bekunden, warf Mercadier – der für gewöhnlich mit der Rechten die Lanze führte – den Schaft in die andere Hand, rammte den Arm in den Schildgurt und riss den Kopf seines Pferdes nach oben. Kaum senkte der Schiedsrichter die Fahne, grub Roland seinem Wallach die Fersen in die Seiten und preschte schneller als in den vorangegangenen Kämpfen auf den ebenfalls angaloppierenden Normannen zu, der wie beiläufig die Lanze in Anschlag brachte. Zu spät erkannte der junge Mann seinen Fehler, verstand die meisterhaft in Szene gesetzte Provokation des anderen, die ihn dazu verleitet hatte, die Regeln zu vergessen und seinem Gegner durch das zwangsweise heftigere Zügeln seines Wallachs mehr Angriffsfläche zu bieten. Die Erkenntnis grub sich im selben Moment in sein Gehirn, in dem Mercadiers Waffe mit überwältigender Wucht auf seinen Schild traf. Nur mit Mühe verhinderte Roland, dessen Reittier wie vom Blitz getroffen zur Seite wegsackte, den Verlust des Steigbügels. Er brachte seinen Apfelschimmel mit einem gezielten Tritt in den Bauch und einem Ruck am Zügel wieder auf die Beine, bevor dieser zu Boden gehen konnte. »Verdammt!«, fluchte er, während die Pfiffe und enttäuschten Rufe der Zuschauer an seinem Rücken abperlten wie Wassertropfen. Kaum hatte er das Ende der Abtrennung erreicht, gab der Schiedsrichter erneut das Zeichen zum Angriff, und dieses Mal gelang es Roland, Hass und Zorn unter Kontrolle zu bringen und sich auf den Punkt zu konzentrieren, den er treffen wollte. »Sieh niemals auf den Schild«, hatte William Marshal ihn ermahnt. »Du triffst nur das, was du ansiehst.«
    Alle Bewegungen schienen einzufrieren und sich zu verlangsamen, als er im kurzen, harten Galopp auf den Normannen zuhielt, in dessen Augen bereits ein siegesgewisses Leuchten lag. Während er sich darauf konzentrierte, den verwundbarsten Punkt kurz unter dem Kinn seines Gegners zu fixieren, schwoll das Rauschen des Blutes in seinen Ohren zu einem wahren Tosen an. Sein Herzschlag schien auszusetzen und die farbenfrohe Umgebung, aus der lediglich hie und da ein Gesicht oder ein Wappen klar hervorstachen, flog in verwischten Streifen an ihm vorbei. Kurz vor dem Aufprall beschleunigte sich seine Wahrnehmung rasant. Und als er begriffen hatte, dass der Widerstand, der ihm die Lanze aus der Hand riss, daher rührte, dass diese im Hals des Normannen steckte, schlug bereits der tosende Beifall der Schaulustigen über ihm zusammen. Wie im Traum wandte er sich im Sattel um und starrte auf den zerschmetterten, blutüberströmten Körper des bis zu diesem Zeitpunkt ungeschlagenen Ritters. Ehe er registriert hatte, was vor sich ging, ergriff ein Knappe den Zügel seines Schlachtrosses und lenkte es auf die Tribüne zu, wo Richard Löwenherz seinen Halbbruder mit einem stolzen Blick empfing. »Roland Plantagenet«, verkündete der König, nachdem er der tobenden Menge Schweigen geboten hatte. »Hiermit ernenne ich Euch zum Grafen der Touraine!«
     
    ****
     
    Kitzelnd wischte eine der vom Schlaf zerwühlten, rostroten Strähnen über Rolands nackten Brustkorb, als Jeanne sich mit einem zufriedenen Seufzer auf die andere Seite drehte, um sich mit dem Rücken an ihn zu schmiegen. Die weiche Haut ihrer Hinterbacken ließ seine Männlichkeit erregt das Haupt recken. Und wenngleich den frischgebackenen

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