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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Rülpser auf den Tisch knallen ließ. »Das mach mir erst mal nach, du Großmaul«, herrschte er seinen Nebenmann an, der mit einem verächtlichen Lächeln um den schmalen Mund einem Jungen wortlos zu verstehen gab, den Becher erneut zu füllen. Dann setzte auch er ihn an die Lippen und leerte ihn in einem Zug. »Wer ist hier das Großmaul, Baldric?«, versetzte er mit einem kalten Blick auf seinen Konkurrenten, unter dessen Gewand sich mächtige Brustmuskeln abzeichneten. »Du hängst doch noch am Rockzipfel deiner Amme!« Obschon das kehlige Gelächter, das diesem Ausspruch folgte, die Antwort des Riesen übertönte, konnte Roland sich denken, was Baldric dem Kleineren entgegnete, da innerhalb weniger Augenblicke ein weiterer Krug Met den Weg auf den Tisch zwischen die beiden fand. »Wir werden gleich sehen, wer hier noch am Rockzipfel hängt, Hamond«, konterte der Armbrustschütze und stemmte ein weiteres Mal das schwere Trinkgefäß. Während die honiggelbe Flüssigkeit zum Teil von seinem schwarzen Bart troff, hüpfte sein ausgeprägter Adamsapfel mit jedem Schluck auf und ab. Und als er nach kurzer Zeit das Gefäß triumphierend umdrehte, um zu beweisen, dass er es bis zur Neige geleert hatte, brachen die Schaulustigen erneut in dröhnende Beifallsbekundungen aus.
    »Na«, lallte er streitlustig und stieß den Kleineren hart gegen die Brust, sodass dieser einen Schritt nach hinten stolperte. »Mach mir das erst mal nach, Hamond!« »Ja, mach ihm das erst mal nach«, stimmten einige Armbrustschützen mit ein und schoben den Angesprochenen unsanft näher an den Tisch, wo sich inzwischen ein weiterer, doppelt so großer Krug materialisiert hatte. »Dann sehen wir ja, ob ein ganzer Kerl in dir steckt, oder ob du nur ein Maulheld bist!« Erneut grölten die Männer belustigt. Mit einem besorgten Blick auf Henry, der soeben mit dem letzten Bissen Brot seine Schale auswischte, stellte Roland fest: »Ich denke, wir sollten besser zusehen, dass wir von hier verschwinden. Lange geht das nicht mehr gut.« Henry, der den Tumult weitgehend ignoriert hatte, um sich den übrig gebliebenen Brotkanten zu widmen, hob fragend den Kopf. »Meinst du?« Bevor Roland etwas auf die Frage erwidern konnte, ließ ihn das Geräusch eines Schlages aufblicken. Er konnte gerade noch mit ansehen, wie der verhöhnte Hamond von der Faust des Armbrustschützen gefällt zu Boden ging. Aus dem Augenwinkel sah er das Aufblitzen von Eisen, als sich der Pulk der Männer wie ein hungriges Rudel Wölfe auf den Niedergestreckten stürzte, um nur wenige Augenblicke später wahllos aufeinander einzuprügeln. »Komm«, drängte Roland, griff nach einem weiteren Stück des frisch gebackenen Brotes und zerrte Henry die Treppe hinauf zu ihrem Lager unter dem Dach. Auf keinen Fall wollte er in eine Schlägerei mit den raubeinigen Männern des Königs verwickelt werden, da diese nicht nur bei ihren Feinden gefürchtet waren.

Frankreich, Tours, 1. Mai 1194
     
    Das Läuten der Glocken, die in dem alten, normannischen Kirchturm hin und her schwangen, erschien der wie betäubt neben ihrem Gemahl die Treppen hinabschreitenden Braut dumpf und Unheil verkündend. Hoch über den Köpfen der Hochzeitsgesellschaft trieb ein Schwarm Schwalben ein wildes Spiel. Aber Jeannes trauergetrübte Augen hatten weder einen Blick für die Eleganz der durch die Luft schießenden Vögel noch für die bunt herausgeputzten Holzhäuser, welche den kleinen Platz vor der Kathedrale säumten. Arnaulds behandschuhte Rechte lag leicht auf ihrem linken Oberarm, und trotz des Stoffes, der sie vor der Berührung schützte, lief der jungen Frau ein Schauer des Abscheus über den Rücken. Zu beiden Seiten der Stufen strahlten den frisch Vermählten die fröhlichen Gesichter der Kirchenbesucher entgegen, die den besonderen Gottesdienst in vollen Zügen genossen hatten. Immerhin kam es nicht jeden Tag vor, dass der Graf sich ein schönes Mädchen zur Frau nahm und ein Festmahl für die Bewohner seiner Stadt ausrichtete. Als Jeanne die schweren Röcke ihres Brautgewandes hob, um in der eigens für sie bereitgestellten Sänfte Platz zu nehmen, fiel ihr Blick auf eine etwa vierzigjährige Edeldame, in deren Augen so viel Mitleid für die blutjunge Gräfin lag, dass sie hastig die Vorhänge schloss, um nicht in Tränen auszubrechen.
    Kaum hatten sich ihr Gemahl und dessen Begleiter in die Sättel ihrer Prunkrösser geschwungen, als die Träger ihre Last aufnahmen. Schaukelnd und schwankend trugen sie

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