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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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hinteren Tür aus ihrer Versunkenheit. Als eine vermummte Gestalt die Boxengasse betrat, duckten sich die beiden Knaben instinktiv in die Schatten einer Box.
    Halb verschluckt von der Dunkelheit führte ein hochgewachsener Schatten eines der königlichen Rösser aus der hintersten Box an der dem Burggraben zugewandten Längsseite des flachen Gebäudes, um kurz darauf ins Licht der Fackeln zu treten. Dort erwartete ihn eine zierlich wirkende Gestalt, die etwas in der behandschuhten Hand hielt. Mit einer tiefen Verbeugung nahm der in einen schweren, schwarzen Umhang gehüllte Reiter eine versiegelte Pergamentrolle von der deutlich kleineren Person entgegen, verstaute sie in seinem Surkot und schwang sich auf einen nervös tänzelnden Schimmel. »Beeilt Euch«, flüsterte sein ebenfalls mit einer tiefen Kapuze unkenntlich gemachter schmächtiger Begleiter, an dessen rechter Hand unvermittelt ein goldener Ring aufblitzte. Erschrocken hielt Roland den Atem an. Als der Berittene kurz darauf an ihnen vorbei auf den Ausgang zutrabte, machten sie sich mit hämmernden Herzen noch kleiner, um auf keinen Fall von ihm entdeckt zu werden. Mit einem nervösen Blick über die Schulter – beinahe als habe sie ein verdächtiges Geräusch vernommen – blickte sich die zurückgebliebene Gestalt einige nervenaufreibende Momente in dem düsteren Stallgebäude um, ehe sie den Rockteil ihres langen Gewandes raffte, den dunklen Überwurf noch tiefer in die Stirn zog und in Richtung Ausgang huschte. »Das war die Königinmutter!«, flüsterte Henry erregt, als sich die Tür am anderen Ende des Stalles schon längst hinter Aliénor von Aquitanien geschlossen hatte. Auch Rolands Augen waren immer noch mit einer Mischung aus Neugier und Ehrfurcht auf den Durchgang zum Innenhof geheftet. »Was um alles in der Welt hat sie vor?«
    Nachdem er noch einige Augenblicke lang misstrauisch in die Dunkelheit gelauscht hatte, klopfte Roland sich das Stroh von den Knien, strich sich den zerzausten Schopf aus der Stirn und half seinem Bruder ebenfalls auf die Beine. »Ich weiß es nicht«, stellte er trocken fest. »Aber offenbar will sie nicht, dass jemand davon erfährt.« Als ob sie nicht soeben Zeugen einer mehr als verdächtigen Szene geworden wären, füllte er den Futtertrog seines Schutzbefohlenen mit Hafer, streichelte dem dankbar schnaubenden Tier ein letztes Mal den Hals und schob den Riegel vor die Tür der Box. »Was ist, wenn sie den König verraten hat?«, fragte Henry mit dem blinden Feuereifer der Jugend, verstummte jedoch augenblicklich unter Rolands vernichtendem Blick. »Sie ist seine Mutter«, erwiderte der Ältere kopfschüttelnd. »Warum sollte sie ihren Sohn hintergehen?« Enttäuscht über die verhaltene Reaktion des älteren Bruders, zuckte Henry mürrisch die Schultern. »Vielleicht ist sie auf Prinz Johns Seite«, stellte er lahm fest, hob jedoch augenblicklich abwehrend die Hand, als Roland zu einer Erwiderung ansetzte. »Ja, ja«, brummte er. »Du hast vermutlich recht. Aber merkwürdig ist ihr Verhalten dennoch.« Schweigend erledigten sie die letzten Arbeiten im Stall, während der Regen in unregelmäßigem Takt auf das Dach trommelte. Dann suchten sie ihre Habseligkeiten zusammen, stülpten die Kapuzen über die Köpfe und hasteten über den schlammigen Hof auf das Dienstgebäude zu. Als sein linker Fuß bis zum Knöchel in einem mit Regenwasser gefüllten Loch versank, stieß Roland einen unfeinen Fluch aus, den Henry mit einem schadenfrohen Grinsen quittierte. Kaum hatten sie die bereits überfüllte Halle des Gebäudes betreten, schüttelten sie die dicken Tropfen aus den Gewändern und gesellten sich zu den anderen Knappen. Diese scharten sich um eine der vielen Feuerstellen, über denen in riesigen Kesseln ein nahrhafter Eintopf aus Getreide und Schweinefleisch köchelte.
    »Verdammt, hab’ ich Hunger«, nuschelte Roland zwischen zwei Löffeln der Suppe, nachdem er sich neben seinem Bruder auf eine der roh gezimmerten Bänke in der Nähe der Treppe hatte fallen lassen. Die besseren Plätze am Kamin waren für die älteren Knappen und Dienstmannen reserviert, die lautstark grölend und lachend damit beschäftigt waren, ihren Gefährten beim Würfelspiel die letzten Silberpfennige aus der Tasche zu ziehen. Ein Armbrustschütze von gewaltigen Ausmaßen stürzte soeben unter dem Beifall der ihn Umgebenden einen bis zum Rand gefüllten Krug Met die Kehle hinunter, den er nach kaum drei Atemzügen mit einem brüllenden

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