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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Kapitäne hatte Richard Löwenherz vor neun Tagen Befehl gegeben, Anker zu lichten und den Kanal zu überqueren. Doch nachdem die Flotte von über einhundert Schiffen aus dem relativ ruhigen Gewässer des Hafens von Portsmouth auf die offene See gelangt war, hatte er nach weniger als einer halben Stunde dem Drängen seiner Untergebenen nachgegeben und umkehren lassen. Dankbar, den Fluch der Plantagenets nicht geerbt zu haben, hatte Roland dem sich krampfartig über die Reling erbrechenden Richard den Umhang gehalten, damit dieser dem Schwall der Magensäfte des Königs unbeschadet entkam.
    »Seid nicht so ungeduldig«, schalt ihn die Königinmutter sanft, nachdem sie dem immer noch vor ihr knienden Boten mit einem Wink zu verstehen gegeben hatte, dass er sich erheben durfte. Nur mit Mühe und Not war es dem kleinen Fischerboot, mit dem er in aller Heimlichkeit die tobende See zwischen England und der Normandie überquert hatte, gelungen, den Elementen zu trotzen und – den Sturm im Rücken – die Sicherheit der englischen Küste zu erreichen. »Ungeduldig!«, brauste Richard auf, schlug Rolands Hand beiseite, als dieser ihm den schweren Goldkelch erneut mit dem staubtrockenen Burgunder füllen wollte, und sprang ein weiteres Mal auf die Beine. »Dieser Feigling Philipp ist auf dem Weg nach Verneuil, um uns auch diese Festung zu entreißen, ich soll meinem verfluchten Bruder alles vergeben, und Ihr redet von Ungeduld?!« Wütend mahlten die starken Kiefermuskeln unter der straff gespannten Haut seiner Wangen. »Richard.« Mit einer beschwichtigenden Geste legte Aliénor von Aquitanien eine der faltigen Hände auf den Unterarm ihres Sohnes. »Es ist die einzige Möglichkeit, alle Kräfte auf den Krieg mit Philipp zu konzentrieren«, beharrte sie. »Wenn Ihr Euch mit John befehdet, verschwendet Ihr kostbare Ressourcen!« Grimmig schnaubend machte der König den Earls, die der Versammlung beigewohnt hatten, ein Zeichen. Woraufhin diese sich – mehr oder weniger erleichtert, der Gewitterstimmung entkommen zu können – erhoben und mit tiefen Verbeugungen das riesige Zelt verließen. »Du bleibst!«, knurrte Richard, als Roland den anderen Knappen folgen wollte, setzte jedoch gleich darauf schroff hinzu: »Bring uns einen Krug Honigwein.«
    Als Roland – durchnässt von dem unentwegt auf die lagernden Engländer niederprasselnden Regen – mit dem Gewünschten aus dem Küchenzelt zurückkehrte, hatten sich Aliénor und Löwenherz, in eine heftige Diskussion verstrickt, an die Feuerstelle zurückgezogen. »Ich wünsche, dass du nicht weiter darüber mit mir streitest!«, befahl die alte Dame gefährlich ruhig. Wie immer hatte sie, kaum dass sie alleine war mit dem König, das Pronomen gewechselt und die Maske der Unterwürfigkeit fallen lassen. »Er ist dein Bruder, und ich verbiete, dass du ihm etwas antust!« Schüchtern stellte Roland den Krug auf das kleine Tischchen zwischen den schweren Stühlen, auf denen die beiden Platz genommen hatten, schenkte die Becher voll und trat in den Schatten der Leinwand zurück. »Wie soll ich ihm trauen können, nach allem, was er getan hat?«, wandte Richard erbost ein. »Ich kann ihn zwingen, mir den Treueeid zu leisten, aber was hält ihn davon ab, ihn zu brechen?« Seine schwieligen Hände gruben sich in den dichten, rotblonden Schopf. »Ich«, erwiderte Aliénor von Aquitanien schlicht.

Frankreich, Tours, 11. Mai 1194
     
    »Komm schon«, drängte Arnauld de Touraine, der erst vor wenigen Stunden aus Paris zurückgekehrt war und sich bereits wieder im Aufbruch befand. »Der König wird nicht ewig auf mich warten!« Hastig schnallte er die Sporen an die schweren Reitstiefel, warf einen Umhang um die Schultern und zog seine Gemahlin von dem Fenster fort, durch das sie die dunklen Wolkenfetzen betrachtete, die in wilder Hatz über den Himmel fegten. Sein von einer pockennarbigen Nase beherrschtes Gesicht war gerötet und in seinen graublonden Augenbrauen glitzerten winzige Schweißperlen. »Es sind beinahe vier Tagesritte bis Verneuil«, brummte er, während der Blick seiner milchigen Augen bedauernd über Jeannes wohlgeformte Rückseite glitt, die sich verlockend unter dem meisterlich gearbeiteten Bliaud abzeichnete. Den Bruchteil eines Augenblickes wirkte es, als wolle er die Eile vergessen und einen Bissen von der köstlichen Frucht nehmen, die in so unglaublich greifbarer Nähe war. Doch nach einigen schweren Atemzügen schluckte er trocken, wischte sich die Handflächen an

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