Im Reich der Löwin
geschlagen, verstümmelt und gefoltert wurden. Der beißende Geruch von Qualm lag in der Luft, da inzwischen beinahe alle Häuser in dem kleinen, unbedeutenden Flecken lichterloh brannten. »Ich war im Wald«, schluchzte das Mädchen verzweifelt. »Bitte glaubt mir doch, Herr!« Ihre Augen waren rot vom Weinen. »Bitte.« Ihre Stimme erstarb, als Mercadier sich mit einem Händeklatschen erhob und fünf der Männer aus dem Ring vortraten, um ihr ohne viel Federlesens das grob gewobene Obergewand vom Leib zu reißen. Während vier von ihnen sie an Armen und Beinen festhielten, kniete sich ihr Kamerad über die schluchzende Magd, schlug ihr hart ins Gesicht und zwang ihre Schenkel auseinander.
Das Flehen und Jammern des Mädchens ignorierend, kehrte Mercadier der Szene den Rücken und begann, durch das verwüstete Dorf zu schlendern, dessen Schicksal sich verbreiten würde wie ein Lauffeuer. Überall lagen die übel zugerichteten Leichen der Bewohner neben dem Trampelpfad, der sich zwischen den flachen, an karge Felder angrenzenden Katen hindurchschlängelte. Nur hie und da regte sich noch einer der blutüberströmten Bauern. Wie immer hatten seine Söldner sich die Frauen für später aufgehoben, um nach dem Morden und Schlachten noch ein wenig Zerstreuung zu finden. Als er um eine der brennenden Häuserecken bog, erspähte er einen schmutzigen Schopf, der gerade unter einem umgestoßenen, halb zerschmetterten Fass verschwinden wollte. Mit drei langen Schritten hatte er die Stelle erreicht, die morschen Bretter zur Seite getreten und den verdreckten Bengel, der sich darunter verbarg am Kragen in die Luft gehoben. »Na, was haben wir denn da?«, höhnte er, als der etwa Zehnjährige sich mit aller Macht zu wehren versuchte. Als er dem Söldnerführer in den muskelbepackten Unterarm biss, schlug Mercadier ihm mit solcher Wucht in den Bauch, dass der Junge vor Schmerz nach Luft schnappte und vor den Füßen des Normannen zusammenbrach.
Frankreich, die Normandie, Rouen, 12. Mai 1194
Der Empfang in der Normandie war atemberaubend. Während die scheinbar endlose Kolonne der mächtigen Kriegsschiffe die Seine hinabsegelte, versammelten sich entlang des Ufers immer mehr Menschen, um dem englischen König und seinen Begleitern zuzujubeln. Fahnen in den Farben des Königshauses flatterten im starken Nordwind, und auf mehreren der steinernen Landungsstege waren Freudenfeuer entzündet worden. Eine Abordnung stark gepanzerter Ritter, deren Wappen sie als Männer des erst am Morgen aus Verneuil zurückgekehrten Mercadier auswies, bildete eine klar abgegrenzte Insel in dem wogenden Gewimmel der etwa 10 000 Einwohner der nordfranzösischen Handelsmetropole Rouen. Die auf Hochglanz polierten Helme reflektierten das Licht der Sonne, welche – passend zu dem feierlichen Anlass – vor wenigen Minuten die Wolken verscheucht hatte. Die scharfen Gesichtszüge des normannischen Söldnerführers ließen selbst aus der Entfernung erkennen, dass Mercadier seinem Ruf, ein erbarmungsloser Krieger zu sein, in nichts nachstand. Unter einem schmalen Mund betonten ein eckiges Kinn und ein breiter Kiefer die Entschlussfreudigkeit des von Richard Löwenherz hochgeschätzten Kämpfers. Aber es waren sein hünenhafter Wuchs und die beinahe unnatürlich breiten Schultern, die ihn von den anderen Männern abhoben. Mit hocherhobenem Kopf folgte er dem Zug der Last- und Kriegsschiffe, bis diese die Hafeneinfahrt erreicht hatten.
»Beeindruckend«, murmelte Roland an Bord einer der schlanken Galeeren – bemüht, die aufgeplatzten Lippen nicht allzu sehr zu bewegen. Unter einer geschwollenen Augenbraue prangte ein in allen Farben schillerndes Veilchen. Und die Hand, welche den Zügel des königlichen Rosses hielt, steckte in einer grau-weißen Bandage. Henry, der neben ihm stand und ebenfalls das Reittier seines Herrn ruhig zu halten versuchte, nickte und warf seinem älteren Bruder einen schuldbewussten Blick zu. Erneut hatte Roland ihn vor den Sticheleien der anderen Knappen beschützt, indem er einen kurz vor dem Ritterschlag stehenden Burschen, der Henry als Waschlappen und Bettbübchen bezeichnet hatte, zum Kampf gefordert hatte. Die ungleiche Auseinandersetzung war nicht von langer Dauer gewesen. Zu allem Überfluss hatte Roland auch noch eine Tracht Prügel von Richard Löwenherz bezogen, der mit allem Nachdruck darauf hingewiesen hatte, dass er solch ein Verhalten nicht duldete. Wenn er Roland noch einmal dabei erwischte, wie er sich
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