Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
zum Abschied zu. »Komm auch, wenn du fertig bist«, lud er den Knaben ein, da er sich an seinen Vorsatz erinnerte, netter zu ihm zu sein. Dann steuerte er mit seinem Bruder auf den Ausgang zu.
     
    ****
     
    Kaum waren die rot-gelben Surkots der beiden Brüder am Ende der Sattelgasse verschwunden, ließ Humphrey die Maske der Freundlichkeit fallen, eilte ans andere Ende der Waffenkammer und nahm mit einem grimmigen Ausdruck Rolands Armbrust vom Haken. Nach einem misstrauischen Blick über die Schulter zog er vorsichtig das zuvor in seinem Umhang versteckte Werkzeug hervor, legte die Waffe in seinen Schoß und begann, die Bolzen zu lösen, welche die Sehne festhielten. Sein erster Versuch, den verhassten Widersacher aus dem Weg zu räumen, war fehlgeschlagen. Aber das bedeutete nicht, dass er so schnell aufgeben würde! Während er mit der Mutter kämpfte, die den Bolzen umklammerte, schien das Rauschen des Blutes in seinen Ohren zu einem orkanartigen Brausen anzuschwellen. Bunte Lichter des zu lange unterdrückten Hasses tanzten vor seinen Pupillen, als er unter Aufbietung all seiner Kräfte den Rost bearbeitete und schließlich mit einem zufriedenen Ausatmen den Bolzen lockerte. Beim nächsten Spannen der Waffe würde die Sehne aus ihrer Halterung schießen und dem Schützen mit voller Wucht ins Gesicht schlagen. Wenn sein Nebenbuhler Glück hatte, würde er nur ein Auge verlieren. Sollten sich allerdings Humphreys sehnlichste Wünsche erfüllen, würde er fortan als blinder Krüppel durchs Leben gehen! Zu spät bemerkte der ganz in seine Arbeit vertiefte Knabe die Gestalt, die unbemerkt den Raum betreten und sich hinter ihm aufgebaut hatte. Erst als ihn jemand von den Füßen hob, herumwirbelte und mit dem Rücken gegen einen der Stützbalken presste, erkannte er den Fehler, den er begangen hatte. Warum hatte er die verdammte Tür nicht abgeschlossen?!
    »Also hatte ich recht mit meinem Verdacht«, knurrte sein Vater, dessen braune Augen vor Wut und Enttäuschung funkelten. Sein Gesicht war steinern, doch die Hand, die er erhoben hatte, um seinen Sohn zu züchtigen, fiel kraftlos an seiner Seite hinab. Stattdessen schüttelte er Humphrey, sodass diesem die blonden Haare wirr in die Stirn fielen, und schleuderte ihn grob von sich. »Du hast Glück!«, stieß William Marshal mühsam beherrscht hervor. »Deine Schande ist auch meine Schande.« Mit einem verächtlichen Schnauben spuckte er vor dem zusammengekauerten Jungen ins Bodenstroh. »Was bedeutet, dass Löwenherz niemals hiervon erfahren wird.« Als er den Ausdruck der Erleichterung in den Blick des Knaben treten sah, fuhr er heiser fort: »Du wirst morgen früh zu deiner Mutter aufbrechen.« Humphrey erbleichte. »Ich werde dir zwei Männer mitgeben, die dafür sorgen, dass du auch dort ankommst.« Wie um sich von der Berührung seines Sohnes zu säubern, wischte der alte Ritter die Hände an seinen Beinlingen ab. »Du bist ein Feigling, also sollst du auch das Leben eines Feiglings führen!« Er wandte sich zum Gehen, setzte jedoch – an der Tür angelangt – schroff hinzu: »Und wo ginge dies besser als in einem Kloster.«
     
    ****
     
    Beinahe schmerzhaft hämmerte Harold of Leicesters Herz gegen seine Rippen, als er die mit seinem eigenen Siegel versehene Nachricht mit zitternden Händen aufriss. Kaum hatte der erschöpfte Bote ihm das Schriftstück übergeben, entschuldigte er sich bei dem hochgestimmten Richard Löwenherz, um sich zurückzuziehen. Eilig war er aus der Halle gestoben, in der – ebenso wie im Innenhof – eine ausgelassene Siegesfeier tobte, und in das ihm zugewiesene Gemach im ersten Stock des Wohngebäudes gehastet, um dort den lange ersehnten Brief seiner Gemahlin zu lesen.
     
    »Liebster Harold,
     
    ich schreibe diese Zeilen, um dir mitzuteilen, dass es deiner Familie und deinen Gütern besser nicht gehen könnte. William und Aliénor entwickeln sich prächtig, und dank der tatkräftigen Unterstützung deines Bruders wird die Ernte in diesem Jahr alle Erwartungen übersteigen.
    Die Einnahmen sind beinahe doppelt so hoch wie die des vergangenen Jahres, sagt Alan, was bedeutet, dass du den König mit mehr Männern unterstützen kannst, als ursprünglich angenommen.
    Es ist alles ruhig im Land, und dank Lady Marian habe ich oft wunderbare Gesellschaft, die mir über den Schmerz der Trennung von dir hinweghilft.
    Ich vermisse dich!
     
    In inniger Liebe
    Catherine
     
    Mit einem Seufzer ließ der junge Earl of Leicester das Pergament

Weitere Kostenlose Bücher