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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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fallen lassen. »Wie ich höre, habt Ihr beschlossen, Euch an die ärmeren Schichten zu wenden«, fuhr Guillaume of Huntingdon fort, während er mechanisch den Schmutz unter einem seiner Fingernägel entfernte. Der Händler nickte. »Das ist gut so. Seht zu, dass Ihr genügend Unzufriedenheit schürt, damit die Menschen auf die Straße gehen.« Ein Funkeln trat in seine Augen. »Vielleicht könnte es auch zu dem einen oder anderen Zwischenfall kommen.«
    Als ein schlankes Mädchen den Raum betrat, um den beiden Männern eine Erfrischung zu reichen, ließ er den Blick über ihre sanften Rundungen gleiten, errötete jedoch leicht, als er FitzOsberns missfälliges Stirnrunzeln auf sich spürte. Kaum hatte sie die schwere Tür hinter sich ins Schloss gezogen, als er dankbar einen der Becher entgegennahm, einen tiefen Schluck tat und fortfuhr: »Der König wird nicht nur durch den Krieg mit Philipp abgelenkt sein.« Er leckte sich genüsslich die Lippen. »Auch der Einfall der Mauren in Spanien wird ihm mehr Kopfzerbrechen bereiten als ein kleiner Aufstand in London, den er seinem Bruder überlassen kann.« FitzOsbern nickte. »Und wenn Lackland dann erst einmal die Macht übernommen hat«, spann dieser den Gedanken fort, »dann sinken die Steuern und die Handelsblockaden werden aufgehoben.« »So wird es sein. Und Ihr erhaltet die versprochene Beförderung.« Guillaume erhob sich, woraufhin William FitzOsbern sich leicht vor ihm verneigte. »Ihr kümmert Euch um die Unterstützung der Bischöfe?« Nur mühsam verbarg Guillaume den Unwillen, den diese Frage in ihm hervorrief. »Ich werde tun, was ich Euch versprochen habe.« Er wandte sich zum Gehen. Kurz bevor er den Ausgang erreicht hatte, hob er noch einmal warnend den Zeigefinger. »Denkt daran, Ihr habt mich nie gesehen.«
    Als er verschwunden war, saß der Steuerbeamte und Händler noch lange Zeit grübelnd da und betrachtete abwesend das bunte Treiben vor seinem Fenster. Was, wenn der Plan fehlschlug? Aber daran durfte er überhaupt nicht denken! Die Versammlung hatte ihn zu ihrem Anführer gewählt, und ihre Mitglieder verließen sich auf ihn. Nachdem sie sich bei der letzten Zusammenkunft geeinigt hatten, wie die Vorgehensweise auszusehen hatte, lastete die Verantwortung für die Durchführung des Ganzen einzig auf seinen Schultern. Und er würde sich eher als landloser Arbeiter verdingen, als seine Freunde zu enttäuschen! Schließlich erhob er sich mit einem leisen Murmeln. Dann nahm er einen der schweren Schlüssel von dem Bund an seinem Gürtel und steuerte auf eine kleine, schwer verriegelte Tür hinter einem prunkvollen Wandbehang zu, um das Geld des Prinzen in der dort verborgenen Eichentruhe zu verstauen.
     
    ****
     
    Als sich der eisenbeschlagene Deckel der halb vollen Kiste schloss, ritt Guillaume of Huntingdon bereits zufrieden durch die überfüllten Londoner Straßen, in denen sich – wie jeden Tag – Männer und Frauen aus allen Teilen des Landes betrogen, bestahlen und beglückten. Der Zufall hatte ihm einen Idealisten und Sündenbock in die Hand gespielt, mit dessen Hilfe er die Befehle aus Johns dritter Depesche befolgen konnte. Sie hatte ihn vor wenigen Tagen erreicht. Wie darin gefordert, hatte er sie verbrannt, nachdem er sich ihren Inhalt eingeprägt hatte und alle nötigen Schritte in die Wege geleitet. Da er frühzeitig in den Plan des Prinzen eingeweiht worden war, hatte er genügend Zeit besessen, um vor seiner Abreise nach London Spione auszuschicken. Diese sollten die Quellen ausfindig machen, derer er sich später bedienen konnte. Und die heutige Unterredung mit FitzOsbern bestätigte seine kühnsten Erwartungen. John Lackland würde stolz auf ihn sein!

Im Herzen Frankreichs, Grafschaft Auvergne, Ende August 1195
     
    Wie um die entsetzten Schreie der Einwohner des kleinen, am Fuße eines steilen Vulkankegels gelegenen Dorfes zu übertönen, rollte ein furchterregender Donner durch das von Schluchten zerklüftete Tal der Dordogne. Keine zwei Atemzüge später zerriss ein weiterer greller Blitz den schwarzen Himmel und beleuchtete das schiefergraue Gestein der kleinen Kirche in der Mitte des Fleckens, in der Frauen, Kinder und alte Männer Schutz vor der über sie hereingebrochenen Geißel Gottes suchten. »Hierher, schnell!«, kreischte eine Mutter, deren etwa neunjährige Tochter fieberhaft versuchte, zwischen den alles niedertrampelnden Hufen der Pferde über den Marktplatz zu schlüpfen. Doch als das Kind die Treppe zu dem

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