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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Früchten, die er hatte fallen lassen.

Der Süden Englands, Ende August 1195
     
    Wenn er sich beeilte, konnte er sie noch einholen! Der donnernde Hufschlag seines Hengstes schien den ausgedörrten Boden erzittern zu lassen, und rechts und links der staubigen Straße suchten aufgeschreckte Vögel protestierend das Weite. Nachdem er direkt nach seiner Rückkehr aus London die Flucht seiner Schwägerin entdeckt hatte, war Guillaume of Huntingdon – kaum hatte er die Einzelheiten aus der Amme herausgeprügelt – augenblicklich nach Süden aufgebrochen, um die drohende Katastrophe abzuwenden. Wenn Catherine unversehrt bei Harold ankommen sollte, war es um ihn geschehen! Zwar hatte er seinen Einflussbereich auf den Besitztümern seines Bruders inzwischen erheblich ausweiten können. Doch waren sowohl Alan als auch FitzGerald in Leicester alles andere als auf seiner Seite. Nur mit Mühe hatte er seine dunklen Machenschaften vor ihnen verbergen können, und wären sie nicht gewesen, hätte er William schon längst aus dem Weg geräumt und Catherines Ehebett befleckt. »Es ist wie verteufelt«, murmelte er missmutig, als er sich duckte, um unter einem tief hängenden Ast hindurchzugaloppieren. »Schneller, du Schindmäre!« Erneut hieb er die Gerte auf die bereits blutige Flanke seines Reittieres, während er mit zusammengekniffenen Augen den Horizont nach den Gesuchten abtastete.

Rouen, Ende August 1195
     
    Auf der anderen Seite des Ärmelkanals stampfte der geheime Auftraggeber des jungen Mannes aufgebracht von einem Ende seines Gemaches zum anderen und wieder zurück. »Gott, wie ich diese Stadt langsam hasse!«, grollte John Lackland und bedachte Richard of Devizes mit einem verdrießlichen Blick. Wohingegen die anderen Männer, die erneut zum Schutz der nördlichen Hafenstadt abgestellt worden waren, diese Aufgabe als Privileg betrachteten, sah Lackland darin nichts weiter als eine Abschiebung. Seit der Rückkehr Ottos aus der Geiselhaft fühlte er sich mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, und immer öfter schienen ihm machtloser Zorn und nagende Missgunst den Atem nehmen zu wollen. Während er sich bemühte, die Enge in seiner Brust zu vertreiben, gruben sich die Finger seiner rechten Hand schmerzhaft in seinen linken Oberarm. Die als Aussprache geplante Konfrontation mit seiner Mutter und Löwenherz im Palast von Rouen hatte sich innerhalb weniger Augenblicke in ein Desaster verwandelt, als sein Bruder ihm ohne Umschweife ins Gesicht geschleudert hatte, dass er ihm nach wie vor nicht weiter traute, als er pissen konnte – das waren seine exakten Worte gewesen! – und dass John nicht glauben solle, er habe mehr Anrecht auf die Thronfolge als Otto. Otto! Angeekelt spuckte er auf die hellen Sandsteinfliesen und fuhr sich durch das ungekämmte Haar. Stets an Richards Seite konnte sich der welfische Prinz bereits nach kaum einem halben Jahr mit mehr Erfolgen brüsten, als sie Lackland jemals beschieden sein würden. »Lasst mich allein!«, fauchte er Devizes an, der sich erhoben hatte, um ihm den Siegelring zurückzugeben, mit dem er die Botschaften des Prinzen zu verschließen pflegte.
    Grübelnd trat John, kaum hatte sich die Buchentür hinter dem jungen Chronisten geschlossen, ans Fenster und starrte auf das Gewimmel vor den Mauern der Festung hinab. Das Leben in der Handelsmetropole hatte sich allmählich wieder normalisiert, und dem willigen Kunden stand es inzwischen wie gewohnt offen, jedwedes Luxusgut in den Handelshallen in der Nähe des Hafens zu erstehen. Schreiend bunte, kostspielige Gewänder vermischten sich mit den gedeckteren Tönen der weniger betuchten Käufer, deren Strom an diesem Tag in eine ganz bestimmte Richtung zu fließen schien. Nahe der verwitterten Fassade einer winzigen Kapelle erhob sich das rot-weiß gestreifte Marktsegel eines Gewürzhändlers, vor dessen Stand Männer und Frauen lautstark um die begehrte Ware stritten. Weiter in Richtung Hafenbefestigung boten Waffenschmiede ihre Erzeugnisse feil. Als ein mit einem rubinrot leuchtenden Seiden surkot bekleideter Ritter eine der Klingen auf ihre Härte prüfte, brach sich das Licht der Sonne blau funkelnd in der drei Fuß langen Waffe. Mit einem Blinzeln schloss John einen Augenblick die Augen und seufzte. Was war nur los mit Fortuna, die bisher stets ihre schützende Hand über ihn gehalten hatte? Zwar war seine Mutter, Aliénor von Aquitanien, immer noch auf seiner Seite. Doch hatte die alte Dame in dem hässlichen Streit mit

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