Im Reich der Löwin
Richard klein beigeben und dessen Argumente wohl oder übel akzeptieren müssen. »Otto hat Führungstalent«, hatte Löwenherz – der impliziten Beleidigung gewahr – seinem Bruder mitgeteilt. »Und selbst wenn wir ihn aus dem Spiel ließen, dann wäre da immer noch Arthur!« Speichel sprühend hatte er die Absicht bekundet, Konstanze, die ehemalige Gemahlin ihres ältesten Bruders und Mutter Arthurs, an seinen Hof zu zitieren, um mit ihr über die weitere Zukunft des Knaben zu verhandeln. Als Aliénor schließlich beschwichtigend die Hände gehoben hatte, um ihren wütenden Sohn zu beruhigen, war Richard Löwenherz ohne ein weiteres Wort aus dem Raum gestürmt und hatte die Tür hinter sich zugeknallt. »Er wird seine Meinung auch wieder ändern«, hatte Aliénor kleinlaut versetzt. Aber da war sich Lackland keinesfalls so sicher.
Und jetzt, da Berengaria von Navarra wieder in der Nähe des Königs weilte – offensichtlich doch nicht so unfruchtbar wie behauptet – drohte zudem die Gefahr, dass sie ihrem entfremdeten Gemahl einen direkten Thronfolger gebar. Doch, da dieses Problem keinesfalls akut war, musste er zunächst einmal dafür sorgen, dass weder Otto noch Arthur in Zukunft eine ernsthafte Bedrohung für ihn darstellten. Müde wandte er dem Fenster den Rücken, ließ sich in einen der in dem großzügigen Gemach verteilten, mit dicken Fellen ausgelegten Lehnstühle fallen und stützte den schweren Kopf in die Handflächen. Allerdings wusste er noch nicht genau, wie er das bewerkstelligen sollte, ohne dass der Verdacht augenblicklich auf ihn fiel. Es war wie verflucht! Geistesabwesend drehte er die juwelenbesetzte Spange, die sein leichtes Übergewand zusammenhielt, zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Kaum versprachen die Dinge in London, erfolgreich zu verlaufen, wurden ihm neue Steine in den Weg geworfen. Wenn sich seine Neffen als Bedrohung nicht ausschalten ließen, hatte er auch kein Interesse mehr an England! Denn was sollte ihm die Macht auf der Insel nutzen, wenn er nach wie vor dazu verdammt sein würde, die zweite Fidel zu spielen?
Im Herzen Frankreichs, Grafschaft Auvergne, Ende August 1195
Während er das unerklärliche, ihn seit einigen Tagen bedrückende Gefühl in der Magengegend verdrängte, war Harold of Leicester bemüht, sich auf die von Richard Löwenherz zusammengerufene Versammlung zu konzentrieren. Wie so oft die Schicklichkeit ignorierend, hatte Löwenherz auch an diesem Tag darauf verzichtet, die Insignien seiner Macht anzulegen und lehnte beinahe nachlässig in dem bequemen Sessel, der die genaue Mitte der halbrunden Tafel im Erdgeschoss der annektierten Festung markierte. Rechts neben ihm saß der junge Welfe Otto, dessen klare blaue Augen selbstsicher über die Anwesenden glitten, während der Knappe des Königs schräg neben den beiden stand, um ihnen bei Bedarf zu Diensten zu sein. »Ein Teil von uns sollte so schnell wie möglich in den Norden zurück«, verkündete Löwenherz soeben. »Man kann dieser Schlange nicht trauen!« Zwar hatte Philipp von Frankreich das mit dem Kuhhandel um seine Schwester Alys besiegelte Abkommen bis jetzt eingehalten. Doch hatten die vergangenen Monate gezeigt, dass daraus keine falschen Schlüsse gezogen werden durften. »Ihr bleibt hier.« Er wies auf die Earls of Cornwall, Devon, Oxford und William Marshal, den Earl of Pembroke. »Der Rest kommt mit mir nach Vaudreuil.« Ohne auf das sich erhebende Gemurmel einzugehen, wandte er sich dem nächsten Punkt der Tagesordnung zu. Da es sich dabei um Verwaltungsangelegenheiten handelte, die Harold herzlich wenig interessierten, richtete dieser die Aufmerksamkeit auf die silbrig glänzenden Staubkörner, die in den hereinfallenden Sonnenstrahlen einen trunkenen Tanz vollführten, und ließ die Gedanken auf Wanderschaft gehen.
Warum nur quälte ihn diese Unsicherheit? Sicherlich waren die Briefe seiner Gemahlin, die bis vor Kurzem in regelmäßigen Abständen eingetroffen waren, lediglich irgendwo untergegangen. Und dennoch: Selbst wenn ihre Botschaften meist oberflächliche Einzelheiten ihres Alltags enthielten, musste deren Ausbleiben etwas bedeuten! Er stützte den Kopf auf die geballten Fäuste. Sollte sie sich einen Liebhaber genommen haben? Allein die Vorstellung, dass ein anderer ihren Körper mit seiner Berührung beschmutzte, ließ seinen Magen schmerzhaft verkrampfen. Oh, Catherine, stöhnte er innerlich und rief sich den kurzen Besuch in England vor beinahe einem Jahr in
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