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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Erinnerung. Voller Begierde und Lust hatte sie sich an ihn geklammert wie eine Ertrinkende, hatte ihn kaum aus ihrem gemeinsamen Schlafgemach entfliehen lassen. Und obwohl er vor Glückseligkeit beinahe schwindelig geworden war, als er das erste Mal nach viel zu langer Zeit ihre weichen Lippen auf den seinen gespürt hatte, hatte es Momente gegeben, in denen sie ihm abwesend und besorgt vorgekommen war. Bei der dritten Frage danach, was in ihrem Kopf vor sich ging, hatte sie ihn melancholisch lächelnd eine Glucke gescholten. Dann hatte sie ihm mit einem leidenschaftlichen Kuss den Verstand geraubt und ihn erneut in die Kissen gezogen. Da es einfacher gewesen war, ihren Beteuerungen zu glauben, hatte er sich den Liebesfreuden hingegeben, solange sie ihm vergönnt waren. Und sich nach kaum einer halben Woche zurück auf den Weg zur Küste gemacht, wo die von ihm zusammengezogenen Ritterverbände bereits auf ihn gewartet hatten. Mit einer unbewussten Geste zerriss er das Spinnennetz der Erinnerung und legte die Stirn in sorgenvolle Falten. Was, wenn ihr etwas zugestoßen war?
     
    ****
     
    Während Harold mit verdüstertem Blick ein Muttermal auf der Wange seines Nachbarn anstarrte, ohne es tatsächlich wahrzunehmen, blieb eine halbe Meile von der Halle entfernt dem rotblonden Henry Plantagenet der Mund offen stehen, als er versuchte, das Geständnis seines Bruders Roland zu verarbeiten . »Du hast ja den Verstand verloren«, flüsterte er mit erschrocken aufgerissenen Augen. »Sie ist eine verheiratete Frau!« Da sie ihre Arbeit erledigt hatten, stand es den Knaben frei, den Abend nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Und so hatten sie sich mit Angelleine und zwei Haselstöcken bewaffnet an ein kleines Bächlein am Fuße der Festung zurückgezogen, um einige der darin herumtollenden Forellen an Land zu ziehen. »Aber die Ehe ist nicht rechtsgültig«, wandte Roland mit einem liebeskranken Ausdruck in den Augen ein. Der beinahe siebzehnjährige junge Mann war – ebenso wie sein zwei Jahre jüngerer Bruder – in die Höhe geschossen und maß inzwischen nahezu sechs Fuß. Seine ehemals schlaksige Gestalt hatte sich zu einem muskulösen, kraftvollen Körper gewandelt, dessen immer breiter werdende Schultern bereits den dritten Brustpanzer innerhalb eines Jahres verschlissen hatten. »Und ich liebe sie!«
    Henry schüttelte den Kopf. Anders als Roland hatte er bereits die eine oder andere oberflächliche Erfahrung mit dem schwachen Geschlecht gesammelt, da die Freudenmädchen in Robin of Loxleys Zelt ein und aus gingen. Hie und da hatte eines der Mädchen Mitleid mit ihm gehabt und ihm einige Augenblicke der schwindelerregenden Lust bereitet. Aber Liebe! »Du kennst sie doch kaum«, entgegnete er, während er geschickt einen der zappelnden Fische köpfte und in einen Eimer warf. »Beachtet sie dich überhaupt?« Roland errötete. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihr zu reden«, gab er kleinlaut zu und ignorierte das Zucken seiner Leine. Wehmütig betrachtete er die langsam am Horizont versinkende Sonne, deren warme Strahlen die hügelige Landschaft der Auvergne in ein goldenes Licht tauchte. »Aber ich träume Tag und Nacht von ihr.« Seine Stimme erstarb, und Henry legte ihm die Hand auf den Arm. »Wenn sie dir so viel bedeutet, dann rede mit Richard Löwenherz«, schlug der Jüngere vor. »Er könnte es ihr einfach befehlen.« »Nein, auf keinen Fall!«, gab Roland hastig zurück. »Wenn sie mich nicht will, dann werde ich sie ganz gewiss nicht zwingen.« Erneut überzogen sich seine Wangen mit einer leichten Röte. »Das wäre unritterlich.«
    Eine Zeit lang schwiegen die Brüder – jeder in die eigenen Gedanken vertieft – bis Roland schließlich das Thema wechselte und Henry fragte: »Wann wirst du uns dein Artuslied vortragen?« Henry lachte. »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt daran weiterarbeiten soll«, gab er zu, warf einen Blick in den bereits halb vollen Eimer und schlang die Leine um den Stock. »Seit der Einführung der Ritterturniere in England gibt es einen wahren Troubadour wahn«, versetzte er verächtlich. »Aber dein Werk ist besser als die anderen«, ermutigte ihn Roland, der die ersten Seiten des Epos gierig verschlungen hatte. »Bitte!« Er erhob sich und half dem Jüngeren mit einem breiten Lächeln auf die Beine. »Tu es für mich.« »Mal sehen«, beschied der rotblonde Knabe neutral, wischte sich die glitschigen Hände an der Cotte ab und griff nach seinem Fang. »Ob wir

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