Im Reich der Löwin
romanischen Rundbau schon beinahe erreicht hatte, wurde es von einem mächtigen Araberhengst erfasst und über das nasse Kopfsteinpflaster geschleift. Ein paar Schritte weiter blieb es reglos und blutüberströmt liegen. Mit einem beinahe tierischen Laut befreite sich seine Mutter von dem Knaben, der sich an ihren Röcken festklammerte, vergaß die Gefahr und eilte haltlos schluchzend auf die zerschmetterten Glieder ihrer Tochter zu. Sie war kaum neben dem blutigen Bündel auf die Knie gefallen, als sie ein Schwerthieb im Nacken traf und den blonden Kopf von den Schultern trennte.
»Dumme Gans!«, knurrte Mercadier, der sein wieherndes Streitross wendete, um die letzten überlebenden Männer Roberts I., des Dauphins der Auvergne – die den Engländern wie Schlachtvieh in die Falle gegangen waren – einzuholen und gefangen nehmen zu lassen. Immer und immer wieder hatte er seinen Rittern eingebläut, dass nicht alle Feinde niedergemetzelt werden durften, da Richard Löwenherz ihn damit beauftragt hatte, Näheres über die Kriegsstrategie der beiden Herrscher über die Auvergne in Erfahrung zu bringen. Da sich aufgrund eines Generationen alten Familienstreites Guido II., Graf der Auvergne, und Robert I. die Grafschaft teilten, vermutete der englische König, dass auch die Verteidigung der fruchtbaren Täler und Bergkegel in unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche fiel. Man würde sehen! Mit einem kehligen Schrei grub Mercadier seinem Reittier die Sporen in die Flanken und setzte einer Gruppe Fußsoldaten nach, die einfältig genug waren, hügelaufwärts zu fliehen.
Während er den in ihrer Hast übereinanderstolpernden Männern beinahe gemächlich hinterhertrabte, rief er sich die Geschehnisse der vergangenen Wochen ins Gedächtnis. Der Einfall der Mauren in Zentralspanien hatte Richard und Philipp erneut zu halbherzigen Friedensverhandlungen gezwungen. Um dem Papst ihre Anteilnahme an der großen Auseinandersetzung zwischen Kreuz und Halbmond zu demonstrieren, hatten sie sich Anfang August zu einem wässrigen Abkommen durchgerungen. Dieses war durch die Vermählung des Grafen Wilhelm von Ponthieu mit Alys von Frankreich – Philipps Schwester – besiegelt worden. Nur mühsam hatte Richard Löwenherz seinen Zorn über den Verrat bei Vaudreuil, bei dem er und auch sein Neffe Otto um ein Haar den Tod gefunden hätten, geschluckt, den lästigen Pakt jedoch augenblicklich durch den Einfall in die Auvergne elegant umgangen. Da diese Grafschaft ehemals seinem Vater, Henry II., untertan gewesen war, hatte er die ausgebliebenen Lehensleistungen der beiden Herrscher als Vorwand genutzt, in das reiche Land einzumarschieren und damit die Gebietsverluste im Norden wettzumachen. Mercadier zügelte seinen Hengst, als er eine Gruppe Fliehender erreichte. Ein harter Glanz trat in seine Augen.
»An Eurer Stelle würde ich es gleich mit der Wahrheit versuchen!«, drohte Mercadier, nachdem er es seinen Soldaten nachgetan hatte und vom Rücken seines Pferdes gesprungen war, um den Franzosen die blanke Schwertklinge an die Kehle zu setzen. »Wo sind die Hinterhalte?«, bellte er, packte einen der Auvergner und riss ihm brutal den Kopf in den Nacken. Während sich seine Linke in den Schopf seines Gefangenen grub, tastete die Rechte nach dem schmalen Dolch, der stets in seinem Gürtel steckte. Mit einer blitzschnellen Bewegung befreite er den Stahl und führte die Waffe zum Haaransatz des Mannes. Ohne viel Federlesens zog er die Klinge quer über die Stirn des Franzosen, sodass in dessen Kopfhaut ein gähnender Schnitt aufklaffte. Das Blut des in Mercadiers Griff erstarrten Franzosen vermischte sich mit dem nur noch leise rieselnden Regen, als der Normanne die blutige Spur bis zum Ohr des Mannes weiterführte, um sie schließlich an der anderen Schläfe mit ihrem Ausgangspunkt zu vereinigen. Mit einem mächtigen Ruck riss er an dem vor Nässe schlüpfrigen Haar, trieb dem brüllenden Auvergner den Dolch ins Herz und hob drohend und triumphierend zugleich den Skalp des Getöteten in die Höhe. Ein unbeschreibliches Gefühl der Macht und der Erregung durchströmte ihn und er stieß drohend hervor: »Jeder, der meine nächste Frage nicht beantwortet, teilt sein Schicksal! Wie sind eure Truppen verteilt?« Da ihm jedoch trotz der Tatsache, dass sich mehrere der Gefangenen vor Ekel und Furcht erbrochen hatten, nichts als Schweigen entgegenschlug, trat er kurz entschlossen auf den nächsten Franzosen zu, zerrte diesen auf die Beine und hob
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